von Dr. h.c. Helmut Hildebrandt
Auch jenseits solcher bereits weit fortgeschrittenen Szenarien wird zunehmend über eine Lösung diskutiert: die sogenannten „Regionalen Gesundheitspartnerschaften“. Aber was genau sind diese Partnerschaften? Wann sind sie sinnvoll? Wer kann sie initiieren, und worauf sollte man dabei achten?
Wo liegen die Herausforderungen?
Eine der größten Herausforderungen im Gesundheitswesen ist die Vielzahl an Akteuren: Arztpraxen, therapeutische Praxen, Pflegeanbieter, Apotheken und weitere Leistungserbringer. Vor Ort ist jedoch niemand explizit dafür verantwortlich, die Versorgung zu sichern, die eher benachteiligten (und damit oft kränkeren) Bevölkerungsgruppen zu erreichen, oder die Versorgung der komplex und chronisch Erkrankten zu koordinieren. Viele Menschen fühlen sich dadurch alleingelassen und geben der Politik die Schuld.
Zwar gibt es durchaus Verantwortlichkeiten, aber diese sind vor Ort oft schwer zu durchschauen. Gleichzeitig können die bestehenden Träger nicht immer so handeln, wie es nötig wäre. In Zeiten einer Überversorgung konnten die Kassenärztlichen Vereinigungen (zusammen mit den Krankenkassen) noch Kassensitze nach Planungsbereichen steuern. Doch in Zeiten des Mangels können auch sie „keine Ärzte herzaubern“.
Die Landkreise haben zwar eine gewisse Verantwortung für die Krankenhausversorgung, aber nur insoweit, wie die Landesbehörden einen Bedarf erkennen. Für die pflegerische Versorgung sind die Landkreise auch bedeutende Kostenträger, da sie die Eigenkosten für Pflegebedürftige in Heimen übernehmen, sobald deren eigenes Vermögen aufgebraucht ist. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten sind jedoch oft begrenzt.
Was sind „Regionale Gesundheitspartnerschaften“?
„Regionale Gesundheitspartnerschaften“ können hier eine Lösung bieten. Sie bestehen aus engagierten Akteur:innen des lokalen Gesundheitswesens und kommunalen Gremien und haben – besonders wichtig – ein eigenes Management. Gemeinsam organisieren sie ein innovatives, digital gestütztes Gesundheits- und Versorgungsmanagement. Durch gezielte Anreize und Investitionen ermöglichen sie eine kooperative Zusammenarbeit, die auf positive Gesundheitsergebnisse für die Bevölkerung der Region abzielt.
Der Erfolg hängt dabei wesentlich von der Einbindung der Krankenkassen ab, da deren Daten wertvolle Informationen über die Gesundheitsbedarfe der lokalen Bevölkerung liefern. Durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gesundheitsberufe und eine intelligente Arbeitsteilung, unterstützt von digitalen Lösungen, kann nicht nur die Versorgung sichergestellt werden, sondern auch die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestärkt sowie der Fortschritt von Erkrankungen verlangsamt werden. Dies trägt zudem zur Begrenzung der Kosten im Gesundheitswesen bei – bis hin zur Übernahme von Budgetverantwortung.
Welche Beispiele gibt es in Deutschland und international?
In Deutschland gibt es bereits mehrere „Regionale Gesundheitspartnerschaften“. Zu den von OptiMedis (mit-)initiierten Projekten gehören „Gesundes Kinzigtal“ in Baden-Württemberg, „Gesundheit für Billstedt/Horn“ in Hamburg, „Gesunder Werra-Meißner Kreis“ und „Gesunder Schwalm-Eder-Kreis“ in Nordhessen sowie „Gesundes Landleben“ in Thüringen. Ein weiteres Beispiel ist die im Aufbau befindliche Organisation „WAT Gesund“ in NRW, die einen vernetzten Gesundheitskiosk in Wattenscheid plant.
Aber auch unabhängig von uns sind solche Modelle entstanden, mal weiter fortgeschritten, mal noch in der Anfangsphase. Beispiele finden sich etwa in Ärztenetzen in Ludwigshafen, Südbrandenburg, Schleswig-Holstein und Bayern, aber auch in Initiativen von Wohlfahrtsorganisationen, lokalen Vereinen, kommunalen Stellen oder regional starken Krankenkassen.
Auch im Ausland gibt es zahlreiche ähnliche Ansätze, oft unter dem Begriff „Accountable Care Organizations“ (ACOs) bekannt. Piloten dazu laufen in Ländern wie England, den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz, Spanien und vor allem in den USA, wo es über 600 solcher Verbünde gibt (Schulte et al., 2017; Benstetter et al., 2020; CBO, 2024; Zahorka et al., 2024). In den USA hat sich dafür zudem der Begriff „Population Health Management“ etabliert.
Das National Committee for Quality Assurance (NCQA) definiert „Population Health Management“ so: „Population Health Management (PHM) is a model of care that addresses individuals’ health needs at all points along the continuum of care, including in the community setting, through participation, engagement and targeted interventions for a defined population. The goal of PHM is to maintain or improve the physical and psychosocial well-being of individuals and address health disparities through cost-effective and tailored health solutions“ (NCQA, 2018).
Für welche Situationen eignen sich „Regionale Gesundheitspartnerschaften“?
Die Herausforderungen sind überall ähnlich: Eine zunehmend alternde Bevölkerung in ländlichen Regionen und der gleichzeitige Fachkräftemangel in allen Gesundheitsberufen stellen uns vor große Aufgaben. Wie können wir also in Zukunft eine verlässliche Versorgung sicherstellen, wenn die Krankheitslast weiter steigt? Wie verhindern wir durch gute Prävention unnötige Krankheitsentwicklungen? Wie gewinnen wir Nachwuchskräfte und verbessern die Attraktivität der Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen?
Der Anstoß zur Entwicklung einer „Regionalen Gesundheitspartnerschaft“ kann unterschiedlich ausfallen. Die drohende Schließung eines Krankenhauses ist oft ein sehr später Zeitpunkt, um eine solche Partnerschaft zu initiieren. Manchmal kann der dadurch entstehende Druck jedoch den Prozess beschleunigen. In solchen Fällen bietet die Transformation Chancen: Personal kann für neue Aufgaben freigesetzt werden, und leerstehende Gebäude bieten Raum für vernetzte Praxen und Angebote. Solche Pläne setzen wir derzeit gemeinsam mit kommunalen Gremien in verschiedenen Regionen um.
Idealerweise sollte eine „Regionale Gesundheitspartnerschaft“ jedoch proaktiv entstehen, bevor es zu solchen Krisen kommt. In einigen Bundesländern wird dies bereits versucht, etwa durch lokale Gesundheitskonferenzen in Baden-Württemberg und Niedersachsen oder durch Programme wie „Gesundheitsregionen plus“ in Bayern sowie aktuelle Ausschreibungen in Nordrhein-Westfalen. Auch wenn einige dieser Initiativen noch in den Anfängen stecken und kein voll funktionsfähiges Management besitzen, können sie doch die Grundlage dafür sein, dass sich tragfähige Konsortialpartnerschaften entwickeln. Diese könnten dann in Verträgen mit Krankenkassen auch eine gewisse Kostenverantwortung übernehmen.
Wie kann die Finanzierung aussehen?
Themen für „Regionale Gesundheitspartnerschaften“ können vielfältig sein. Dazu zählen die Organisation des Notarzt- und Rettungsdienstes, die Sicherung der Impfversorgung, und die flexible Gestaltung der pflegerischen und physiotherapeutischen Versorgung, etwa durch Modellprojekte, Direktzugang oder Blankoverordnungen. Auch die kooperative Betreuung von Flüchtlingen, die verbesserte Vernetzung der Partner über sichere Messengerdienste oder die Unterstützung in der kinder- und jugendärztlichen sowie -psychotherapeutischen Versorgung in einer Region könnten Schwerpunkte sein.
Krankenkassen können über den „Pakt für Prävention“ solche Lösungen teilweise mitfinanzieren. Alternativ können sie über Selektivverträge mit Qualitätsanreizen und bestimmten Formen der Budgetverantwortung aktiv zur Umsetzung beitragen. Zwar sind aktuell noch einige regulatorische Hürden zu überwinden, doch es zeichnen sich Möglichkeiten ab, die die Umsetzung erleichtern könnten.
Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Versorgung in den Kommunen“ (GVSG) sollen Gesundheitsregionen und Gesundheitskioske – trotz einer vorübergehenden taktischen Verzögerung – bald wieder über das parlamentarische Verfahren hineingebracht werden. Ein Gesundheitskiosk, eventuell mit Außenstellen in Praxen, Apotheken oder anderen Diensten, könnte durch die Landkreise selbst oder über Dritte betrieben werden und als zentrale Anlauf- und Vermittlungsstelle dienen. Versicherte, die sich in der Versorgung nicht auskennen oder keinen Zugang finden, könnten hier gezielt an primäre Unterstützungsangebote verwiesen werden – und so unnötige Besuche in der Notaufnahme vermeiden.
Welche Vergütungsmodelle bieten sich an?
Ein Vertrag zur Gesundheitsregion kann die Grundlage für eine Schirmherrschaft und eine Partnerschaft mit Krankenkassen schaffen, um einen Entwicklungs- und Transformationsprozess in der regionalen Gesundheitsversorgung zu fördern. So könnten zum Beispiel Vergütungsmodelle entwickelt werden, die regionale Vernetzungen durch einen Aufschlag auf die Vorhaltevergütung wirtschaftlich attraktiv machen (siehe z. B. die 7. Stellungnahme der Regierungskommission). Alternativ könnten Globalbudgets eingeführt werden, die erfolgreiche regionale Gesundheitsförderung auch finanziell belohnen (siehe z. B. die 10. Stellungnahme der Regierungskommission).
Was heute schon mit einzelnen Krankenkassen möglich ist – der Verfasser arbeitet seit 2006 mit populationsorientierten Verträgen zur Integrierten Versorgung nach § 140a – könnte dadurch zukünftig verpflichtend über alle Krankenkassen hinweg organisiert werden. Dass lokale Vernetzungen, unterstützt durch gezielte Investitionen in Gesundheitsförderung und Prävention, zu geringeren Gesamtkosten und einer Reduktion der Krankheitslast führen können, ist mittlerweile gut belegt.
Wer eignet sich besonders für die Gründung „Regionaler Gesundheitspartnerschaften“?
Ein Landkreis mit etwa 150.000 Einwohnern verfügt in der Regel über ein bis zwei Krankenhäuser, 20 Pflegeheime, 18 Apotheken, 30 Therapiepraxen, 180 Arztsitze in 130 Praxen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), 16 ambulante Pflegedienste, ein Gesundheitsamt, sechs psychosoziale Dienste oder Beratungsstellen, einen Pflegestützpunkt sowie ein bis zwei Krankenkassen-Servicepoints. Diese Vielfalt bietet den Bürgern viele Wahlmöglichkeiten – vorausgesetzt, die Anbieter nehmen noch neue Patienten auf. Gleichzeitig führt diese Struktur oft dazu, dass sich die Akteure stark auf ihre eigenen Abläufe konzentrieren und wenig über den Tellerrand hinausblicken.
Die Entwicklung einer „Regionalen Gesundheitspartnerschaft“ erfordert jedoch genau diesen Blick auf das große Ganze. Es braucht langfristigen Vertrauensaufbau zwischen den beteiligten Akteur:innen, die teilweise auch im Wettbewerb zueinanderstehen. Diese Entwicklung erfordert Geduld, Investitionen und den Aufbau eines effektiven Managements. Wenn Versorgungslücken erkannt werden, müssen Anreize geschaffen werden, um geeignete Anbieter zu finden. Zudem kann es notwendig sein, eigene Coaches oder Gesundheits- bzw. Patientenlotsen einzusetzen. Die Koordination besser abgestimmter „Patient Journeys“ zwischen ambulanten und stationären Partnern erfordert Moderation, kontinuierliche Motivation und regelmäßige Datenanalysen.
Welche Rolle können Krankenhäuser spielen?
Betrachten wir das Krankenhaus als potenziellen Organisator der regionalen Versorgung. Sehr wahrscheinlich hat das Krankenhaus bereits auf lokale Versorgungsprobleme reagiert, vielleicht sogar noch ein Pflegeheim aus der Vergangenheit oder erste Facharztsitze übernommen. Es handelt sich also nicht mehr um ein reines Krankenhaus, sondern um eine „Komplexeinrichtung“, die jedoch finanziell noch stark vom Krankenhausanteil dominiert wird. Als einer der größten Arbeitgeber im Kreis ist das Krankenhaus ein bedeutender Partner, dem man durchaus zutrauen könnte, die Verantwortung für die regionale Versorgung zu übernehmen. Zudem verfügt es über die notwendigen IT-technischen und administrativen Ressourcen.
Allerdings könnten die vielen kleineren ambulanten Akteure – wie Ärzte, Pflege- und Therapiepraxen – Bedenken haben, dass das Krankenhaus als großer Partner möglicherweise seine Interessen dominierend durchsetzen könnte. Diese Sorge muss bei der Zusammenarbeit berücksichtigt und durch eine partnerschaftliche und transparente Gestaltung des Prozesses adressiert werden.
An dieser Stelle kommt die Vergütungslogik ins Spiel. Die aktuelle wie auch zukünftige Vergütungsstruktur des Krankenhauses, einschließlich der anteiligen Vorhaltevergütung, lässt viel Raum für Spekulationen über die finanziellen Interessen des Krankenhauses. Ist der wirtschaftliche Anreiz darauf ausgerichtet, die Fallzahlen zu reduzieren, oder sie zu steigern, um nicht Gefahr zu laufen, eine Leistungsgruppe zu verlieren? Schon intern ist diese Frage schwer zu beantworten, und von außen noch schwerer einzuschätzen. Daher wird der Krankenhausträger zwangsläufig mit einem gewissen Misstrauen seitens der anderen Akteure rechnen müssen – wobei ein kirchlicher oder freigemeinnütziger Träger möglicherweise weniger Misstrauen erfährt als ein privater Betreiber.
Durch den Personalmangel und die mögliche Schließung von Standorten geraten größere Krankenhausträger jedoch in eine neue Logik. Diese zwingt sie, neuartige Kooperationen mit ambulanten Partnern einzugehen, um unnötige Krankenhausaufnahmen zu vermeiden, die ambulante Versorgung zu verbessern und die Nachsorge zu optimieren. Dies bietet ein starkes Argument, warum Krankenhäuser den Aufbau einer „Regionalen Gesundheitspartnerschaft“ initiieren könnten.
Welche Möglichkeiten eröffnen sich für Kommunen?
Ein mindestens so großes Interesse an der regionalen Gesundheitsversorgung müssen die Kommunen und kommunalen Gremien auf Landkreisebene haben. Sie werden letztlich von den Bürgern dafür verantwortlich gemacht, wenn die lokale Versorgung zusammenbricht. Zudem tragen sie durch die „Hilfe zur Pflege“ einen erheblichen Teil der Kosten, die durch vorzeitige Pflegebedürftigkeit entstehen können, und stehen bei einem Missmanagement in der Versorgung bei der nächsten Kommunalwahl unter Druck.
Mit den Gesundheitsämtern, die je nach Bundesland unterschiedlich organisiert und mehr oder weniger direkt mit den kommunalen Gremien verbunden sind, verfügen die Kommunen über einen Ankerpunkt, der zumindest im Bereich der psychiatrischen Versorgung Einfluss nimmt. Allerdings liegt ein großer Teil ihrer Aufgaben in der Aufsicht und Kontrolle, wodurch ihre Wahrnehmung als kooperativer Partner vor Ort begrenzt ist. Diese Rolle erfordert daher starkes eigenes Engagement, um als aktiver Partner wahrgenommen zu werden.
Durch den „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ (ÖGD) sowie die Erweiterung des Personals und die parallele Digitalisierung haben sich jedoch neue Möglichkeiten für die Kommunen eröffnet, sich stärker in die Versorgung einzubringen und eine aktivere Rolle in der „Regionalen Gesundheitspartnerschaft“ zu übernehmen.
Bereits erwähnt wurden die Zusammenschlüsse von Ärzten und teilweise auch anderen Berufsgruppen in regionalen Gesundheitsnetzwerken. Je professioneller diese Netzwerke organisiert sind, desto wahrscheinlicher können sie selbst eine „Regionale Gesundheitspartnerschaft“ initiieren und gegebenenfalls über eine Managementgesellschaft auch organisieren. Arbeitsgemeinschaften wie die für die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) oder lokale Zentren, wie Primärversorgungszentren, Hebammenzentren und psychosoziale Arbeitsgemeinschaften, könnten ebenfalls als Initiatoren auftreten. Allerdings gibt es bisher noch keine bekannten Beispiele dafür. Auch Rettungsorganisationen, Pflegeheimträger und Wohlfahrtsorganisationen sollten nicht vergessen werden. Insbesondere dann, wenn neben der pflegerischen Versorgung auch psychosoziale Ursachen von Krankheitsentwicklungen in den Fokus rücken sollen, wie zum Beispiel Themen rund um Sucht, Diskriminierung oder Inklusion.
Ein Problem ist jedoch, dass die meisten Krankenkassen vor Ort kaum noch präsent sind, abgesehen von der AOK, die noch am häufigsten vertreten ist. Die Geschäftsstellen und Verantwortlichen anderer Kassen befinden sich meist auf Bezirks- oder Landesebene. Dennoch können auch von dieser Seite „Regionale Gesundheitspartnerschaften“ initiiert werden. Dabei wäre es ideal, wenn mehrere oder sogar alle Krankenkassen gemeinsam an einem Strang ziehen, um eine hohe Akzeptanz und Durchdringung bei den Leistungserbringern sicherzustellen.
Worauf sollte man bei der Gründung “Regionaler Gesundheitspartnerschaften“ besonders achten?
Die Anforderungen an das Management solcher Partnerschaften sind hoch. Es erfordert nicht nur ein grundlegendes Verständnis der rechtlichen, ethischen und administrativen Herausforderungen von Transformationen im Gesundheitswesen, sondern auch ein tiefes Wissen über die Anreizstrukturen in den verschiedenen Sektoren. Ebenso wichtig ist der Blick auf die vielfältigen Bevölkerungsgruppen sowie das Verständnis für die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten, Präventionsmöglichkeiten und Erkenntnisse aus der Forschung zur Langlebigkeit („Longevity“).
Es ist also entscheidend, Teams mit unterschiedlichen Kompetenzen aufzubauen. Dazu gehören Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitsmanagement, der Gesundheitsökonomie, dem Recht und der Verwaltung, der Medizin und Verhaltenswissenschaften, der Sozialarbeit sowie der Datenanalyse. Diese interdisziplinäre Zusammensetzung ermöglicht es, die komplexen Anforderungen einer „Regionalen Gesundheitspartnerschaft“ erfolgreich zu bewältigen und eine ganzheitliche Versorgung sicherzustellen. Potenzielle Stolpersteine sind:
- Falsches Erwartungsmanagement: Erfolge brauchen Zeit. Zu hohe und schnelle Erwartungen führen oft zu Enttäuschungen, die schwer zu bewältigen sind.
- Zu kurze Vertragslaufzeiten: Die Messung von Ergebnissen erfolgt oft mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Kurze Verträge erschweren eine nachhaltige Bewertung der Wirkung.
- Unterinvestition in der Anfangsphase: Eine zu geringe Ausstattung mit Investitionsmitteln und Personal schafft nicht den notwendigen Hebel für eine erfolgreiche Transformation. Angesichts eines jährlichen GKV-Gesamtvolumens von rund 600 Millionen Euro für 150.000 Versicherte wird ein Investment von nur 1 Million Euro kaum zu relevanten Veränderungen führen.
- Zu starker Fokus auf Einsparungen: Der wirtschaftliche Erfolg kommt primär durch bessere Versorgung und Begleitung der Versicherten, was die Krankheitsprogression verlangsamt. Eine zu starke Ausrichtung auf „Kostensenkung“ widerspricht der Motivation vieler Akteure im Gesundheitswesen und untergräbt die ethischen Grundlagen.
- Geringe Verankerung bei den wichtigsten Akteuren: Insbesondere die niedergelassenen Ärzte müssen stärker in den Prozess eingebunden und unterstützt werden.
- Mangelnde Kommunikation: Fehlende Kommunikation mit Bürgern, kommunalen Gremien und allen Partnern im Veränderungsprozess beeinträchtigt den Reputationsaufbau und die Aktivierung der Bürger. Diese Aktivierung kann bereits zu erheblichen Kostenreduzierungen führen (vgl. Hibbard, Greene 2013).
- Zu starke administrative und bürokratische Einschränkungen: Diese Intervention ist eine komplexe „Real-Life“-Maßnahme, die Flexibilität erfordert. Kurzfristige Entscheidungen und Anpassungen sind notwendig, da medizinisches und verhaltensbezogenes Wissen sowie aktuelle Trends und Kooperationsmöglichkeiten stetig im Wandel sind. Eine starre Planung „auf dem grünen Tisch“ ist daher nicht praktikabel.
Die Aufzählung der Stolpersteine sollte nicht dazu führen, die Bereitschaft zu mindern, jetzt in den notwendigen Transformationsprozess zu investieren. Die aktuelle Diskussion um steigende Zusatzbeiträge der Krankenkassen bei gleichzeitigem Personalmangel in Pflege und Versorgung unterstreicht die Dringlichkeit der Lage. Jetzt – wann, wenn nicht jetzt – ist der richtige Zeitpunkt, um solche Zusammenschlüsse aktiv voranzutreiben und ihnen die geeignete Organisationsform zu geben, die Investitionen tätigen und Verträge abschließen kann. Investorengetriebene Arztpraxis- und Laborketten übernehmen zunehmend regionale Verantwortung, und in einigen Regionen befassen sich bereits kommunale Wirtschaftsförderungsgesellschaften mit diesem Thema. Auch einzelne Stiftungen arbeiten an ähnlichen Lösungen.
Dennoch haben die Akteure vor Ort, gemeinsam mit engagierten Partnern, einen entscheidenden Vorteil. Sie verfügen über das notwendige Know-how, den Überblick über die regionale Versorgungslandschaft, bestehende digitale Vernetzungsstrukturen und eine gute Reputation. Diese Chance sollten sie jetzt nutzen.
Weiterführende Literatur
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Zum Autor
Dr. rer. medic. h. c. Helmut Hildebrandt ist Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG. Sein Schwerpunkt liegt im Aufbau und Management regionaler populationsbezogener IV-Systeme. So war er zum Beispiel von 2005 bis 2018 neben seiner Vorstandstätigkeit bei der OptiMedis AG Geschäftsführer der Gesundes Kinzigtal GmbH, die die Integrierte Versorgung im Ortenaukreis in Baden-Württemberg verantwortet. Zudem ist er Geschäftsführer der Gesunder Werra-Meißner-Kreis GmbH im nordhessischen Eschwege, seinem Heimatort.
Als Co-Vorsitzender der Gesundheitspolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung hat Helmut Hildebrandt an den 2013 veröffentlichten Empfehlungen für eine Reformierung des derzeitigen Anreiz- und Vergütungssystems in Richtung Qualität und Effizienz mitgearbeitet. Der Apotheker und Gesundheitswissenschaftler verfügt über langjährige Erfahrungen in qualitativer Forschung (Medizinsoziologie) und konzeptioneller Arbeit in Gesundheitsförderung und Organisationsentwicklung. Er hat viele Jahre für die Weltgesundheitsorganisation an Präventionsprojekten mitgearbeitet und über 30 Jahren Krankenhäuser, Krankenkassen, Verbände, Unternehmen und Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft in Organisation, Strategie und Systementwicklung u. a. auch als Sanierungsgeschäftsführer im Krankenhausbereich beraten. Er wurde 2022 außerdem mit dem Vordenker-Award ausgezeichnet.