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12. April 2016

OptiMedium April 2016

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Aus Wissenschaft und Forschung

Die Einbindung von Patienten und Bürgern im Gesundheitswesen: Wohin geht die Reise?

Die Rolle von Patienten im Gesundheitssystem hat sich im vergangenen Jahrzehnt stark verändert. Patienten legen zunehmend die tradierten Rollenmuster ab, werden autonomer und engagieren sich stärker in der Bewältigung ihrer Krankheit. Sie vergleichen Leistungsanbieter im Internet, suchen Beratungsportale auf und nutzen diese Informationen in der Interaktion mit dem Arzt. Aus ärztlicher und gesundheitspolitischer Sicht wird dieser Prozess grundsätzlich unterstützt, auch wenn daraus zum Teil neue Probleme entstehen.

Aus der medizinsoziologischen Forschung sind diese Tendenzen und ihre Auswirkungen seit langem bekannt. Dennoch kam in der Versorgungsforschung und -praxis auf internationaler Ebene ein entscheidender Impuls zur Stärkung der Patientenrolle durch die Publikation des Berichtes des US Institute of Medicine „Crossing the quality chasm“. Dieser Bericht betonte die Notwendigkeit eines erweiterten Qualitätsverständnisses für die Lösung gesundheitspolitischer Probleme und stellte die Patientenzentriertheit explizit gleichrangig neben etablierte Qualitätsdimensionen wie die klinische Effektivität oder Patientensicherheit. Patientenzentriertheit, also eine Versorgung, die Würde, Mitgefühl und Achtung gewährleistet, die Versorgungs- und Behandlungsprozesse koordiniert und personalisiert und die Patienten in der Erkennung und Entwicklung von Stärken und Fähigkeiten unterstützt, erfordert notwendigerweise eine stärkere Rolle des Patienten im Behandlungsprozess. Dies eröffnet die Möglichkeit und Notwendigkeit, Patienten und Bürger stärker in die Bewertung von Qualität, und darüber hinaus in die Gestaltung von Versorgungsprozessen, einzubinden.

Die Sicht des Patienten:

„Ich wollte die Krankheit bewältigen und nicht mehr nur Teil des Problems sein, ich wollte Teil der Lösung sein.“
Patient D, in Renedo & Marston. BMC Health Services Research 2015; 15: 22

„Eins ist klar: Die Tage des Patienten als passiven Empfänger ärztlicher Leistungen sind vorbei.“
Mike Miliard, managing editor at Healthcare IT News

„Die Anwesenheit von Patientenvertretern ändert Inhalte.“
Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, Monitor Versorgungsforschung 5/2015

„Wir versuchen immer noch die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wie wichtig ihre Stimme ist. Wir haben die Möglichkeit uns zu engagieren, warum nutzen wir sie nicht?“
Patient A, in Renedo & Marston. BMC Health Services Research 2015; 15: 22

 

Der eindeutige Tenor der internationalen Forschung zum Thema ist, dass die Definition und Umsetzung patientenzentrierter Qualitätsziele nicht durch die Professionen, Leistungserbringer oder Gesundheitspolitik allein erfolgen kann, sondern eine dezidierte Einbindung von Patienten und Bürgern auf allen Ebenen erfordert. Solche Prozesse sind im angelsächsischen Raum unter dem Terminus „Patient and Public Involvement“ etabliert und werden auch hierzulande durch Politik, Leistungserbringer und Profession weitgehend unterstützt. Bekannt sind hierzulande Ansätze zur Einbindung von Patienten in die eigene Behandlung, beispielsweise durch shared-decision-making oder Patientenaktivierung. Der konzeptionelle Rahmen von patient and public involvement geht aber darüber hinaus. Weniger bekannt sind hierzulande institutionelle Ansätze der Patienten- und Bürgerbeteilung, zum Beispiel in Qualitätszirkeln, bei der inhaltlichen Planung von Versorgungsstrukturen, oder in der Priorisierung und Umsetzung von Forschungsprojekten.

Sehr gute Erfahrungen zur institutionellen Einbindung von Patienten und deren Vertretern stammen aus Krankenhäusern wie dem Boston Children´s Hospital oder dem Griffin Hospital, beide international bekannt für ihre patientenzentrierte Versorgung. Strategien sind hier die Einbindung von Patientenvertretern, um den Therapierverlauf mit anderen Patienten besprechen zu können – besonders in der onkologischen Praxis –, die Teilnahme an der Bewertung von Patientenbefragungen, die Einbindung von Patientenvertretern in allen Komitees (mit Stimmrechten) oder bei der Entwicklung von Indikatoren oder Patientenpfaden. Darüber hinaus gibt es vielfältige Möglichkeiten zur Patienteneinbindung als Trainer in Weiterbildungen oder bei Fragen der räumlichen Gestaltung (Groene O, Sunol R 2015).

Wenngleich es auch hierzu interessante Beispiele gibt, beispielsweise das Netzwerk Gesundheitsfördernder Krankenhäuser, scheint die Patientenbeteiligung auf institutioneller Ebene in Deutschland doch weniger stark verankert zu sein als in einigen anderen Ländern. Deutlicher wird dies wenn man die Einbindung von Patienten in Forschungsprozessen betrachtet. Im Vereinigten Königreich beispielsweise steht das INVOLVE Netzwerk für einen Paradigmenwechsel in der Forschung und erfordert über das Nationale Institut für Gesundheitsforschung (NIHR) die Patienteneinbindung in Forschungsprojekten. Alle Forschungsanträge müssen die geplante Patienteneinbindung beschreiben, und wo eine solche nicht vorgesehen ist, muss es gerechtfertigt werden. Einen Schritt weiter noch geht das Patient-Centred Outcomes Research Institute (PCORI) in den USA. Hier ist die Patienteneinbindung in allen Forschungsphasen erforderlich: Ohne Patienteneinbindung bei Prozessen wie der Klärung der Forschungsfrage, der Ergebnissmessung, der Datensammlung und Redaktion der Empfehlungen werden Projekte schlicht nicht finanziert.

Patienteneinbindung: unverzichtbar, empfehlenswert, herausfordernd?

Mit zunehmender Einbindung von Patienten und deren Vertretern in institutionellen Gremien und Forschungsprozessen werden auch Forderungen nach einer Kosten-Nutzen Bewertung nicht auszuweichen sein. Darüber hinaus bestehen aber auch ganz praktische Probleme in den Methoden zur Rekrutierung und Selektion von Patientenvertretern, der Evaluation der Auswirkungen der Patienteneinbindung auf die Relevanz und Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse und der Entwicklung von Trainingsprogrammen, um die konstruktive Einflussnahme von Patientenvertretern zu stärken. Festzuhalten aber ist, dass die Patienteneinbindung nicht mehr unabhängig von oder parallel zu Diskussionen der Qualitätsforschung stattfinden kann, sondern ein zentraler Bestandteil werden muss.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an den Autor Dr. Oliver Gröne, Leiter Research & Development, OptiMedis AG (o.groene@optimedis.de).

Zum Weiterlesen:

Groene O, Sunol R. Patient involvement in quality management: rationale and status. Journal of Healthcare Organization and Management 2015