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12. April 2016

OptiMedium April 2016

Wie sieht die erste Förderbekanntmachung für den Innovationsfonds aus? Warum können Kinzigtaler Ärzte ihre Vergütung zukünftig selbst bestimmen? Wieso schielen Schweizer Ärzte in den Schwarzwald? Und wie gestaltet sich die IT-Vernetzung von Pflege und Hausarztpraxen im Kinzigtal? Die Antworten darauf und vieles mehr lesen Sie in unserem aktuellen Newsletter.


Internationales

USA investiert verstärkt in qualitätsorientierte Versorgungsmodelle – Impulse für Deutschland?

Die USA legen im Zuge des Patient Protection and Affordable Care Act einen Fokus auf die Förderung sogenannter Accountable Care Organizations (ACOs). Sie sind damit eines der ersten Länder, das massiv auf regionale, populationsorientierte Modelle der Gesundheitsversorgung mit einer qualitätsbasierten Vergütung (value-based) setzt. Bis zum Ende des Jahres 2016 sollen wenigstens 30 Prozent der traditionellen Fee-for-Service Vergütungen in eben diese Vergütungsmodelle überführt werden. Bis zum Jahr 2018 soll dieser Anteil gemeinsam mit privaten Versicherungsunternehmen auf mindestens 50 Prozent, bis 2020 sogar auf 75 Prozent erhöht werden.

ACO sind vergleichsweise neue Modelle der populationsorientierten integrierten Gesundheitsversorgung, die den grundsätzlichen Gedanken verstärkter Kooperation zwischen den Leistungserbringer, sowie qualitäts- statt mengenorientierter Vergütung weiterverfolgen sollen. Ein Teil der populationsorientierten Vergütung soll hierbei an Effektivitäts- und Effizienzziele geknüpft werden, deren Erreichung mittels eines Sets von Leistungskennzahlen geprüft wird. Des Weiteren sollen ACOs neue Formen der Bindung von Patienten sowie die Etablierung eines Kennzahlen-Systems zur Qualitätssicherung und eine höhere Transparenz liefern.

 

In den USA gibt es bereits über 700 ACOs, die Versicherte des sozialen und/oder des privaten Krankenversicherungssystems versorgen. Ende des Jahres 2014 waren schon mehr als 22 Millionen Versicherte in ACO-Modelle eingeschlossen. 24 Prozent der insgesamt 24.075 befragten Ärzte in den USA gaben an, bereits an mindestens einem ACO-Vertrag teilzunehmen.

Aus den bisherigen Erfahrungen in den Vereinigten Staaten lassen sich sowohl Herausforderungen als auch Erfolgsfaktoren für das deutsche Gesundheitssystem ableiten. Einige der Herausforderungen, die sich bei der Umsetzung von ACOs ergeben, sind etwa die Definition einer optimalen Populationsgröße, die Vermeidung von Risikoselektion und der Aufbau von gegenseitigem Vertrauen zwischen allen Vertragspartnern. Wesentliche strukturelle Erfolgsfaktoren sind eine elektronische Infrastruktur, eine sichere Anfangsfinanzierung, die Schaffung einer Qualitätskultur, der Aufbau eines Systems zur Verteilung der Vergütungen sowie die sektorenübergreifende Restrukturierung von Versorgungsprozessen.

Ähnliche Vertragsgestaltung in Deutschland ist möglich

Auch wenn sich die ACO-Modelle aufgrund des Systemkontextes nicht ohne Anpassungen und zunächst vermutlich nur jenseits des Kollektivvertrags in Deutschland umsetzen lassen, ist eine ähnliche Vertragsgestaltung in Deutschland nicht nur möglich, sondern wurde bereits im Rahmen der regionalen Integrierten Versorgung Gesundes Kinzigtal angestoßen.

Eine entscheidende Hemmschwelle zur Umsetzung ACO-ähnlicher, populationsorientierter Modelle im Rahmen der Integrierten Versorgung (IV) betrifft die Vergütung im ambulanten Bereich. Bei der Berechnung des populationsorientierten IV-Budgets müssen sich die Kassenärztlichen Vereinigungen und die GKV durch meist aufwändige Verhandlungen einigen, wie das vertragsärztliche Budget um den Anteil der ambulanten Vergütung im Rahmen der IV bereinigt wird – wie dies ab 2017 im Kinzigtal der Fall sein wird. Des Weiteren gibt es in Deutschland keine grundsätzliche Anforderung, dass die Leistungserbringer, die gemeinsam und freiwillig einen IV-Vertrag abschließen, eine formale Organisation gründen müssen, die als Vertragspartner auftritt. Um die im Gesetz verankerten Ziele der IV nachhaltig erreichen zu können, stellen Krankenkassen seit der Finanzierung entsprechender Projekte aus dem normalen Krankenkassenbudget jedoch zunehmend stärkere Ansprüche an Professionalität und Organisationsstruktur der Vertragspartner. Diesen ist eine traditionelle Einzelpraxis tendenziell weniger gewachsen als etwa Praxis- oder Gesundheitsnetze, (Gesundheits-)Unternehmen oder Managementgesellschaften. Zudem wären Verhandlungen mit vielen einzelnen Leistungserbringern für Krankenkassen rein administrativ nur schwer zu bewältigen.

Was in Deutschland bisher fehlt, um eine ähnliche Dynamik wie in den USA zu erzeugen, ist ein großer Kostenträger, wie zum Beispiel das Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS), das eindeutig und konsequent eine Abkehr von der jetzigen Vergütungslandschaft hin zu value-based-Vergütungsmodellen verfolgt und mehrere standardisierte ACO-Programme aufsetzt. Das CMS hat damit einen ausschlaggebenden, klaren Impuls für die Zukunft des US-Gesundheitsmarktes gesetzt, an dem sich Leistungserbringer und auch private Versicherer orientieren. Verschiedene Möglichkeiten lassen sich diskutieren einen ähnlichen Impuls in Deutschland zu setzen. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob das AOK-System, als das größte strukturierte Krankenkassensystem im bundesweiten Kollektiv mit einer Startinvestition einen solchen Impuls auslösen könnte. Eine weitere Option könnte ein entsprechendes Engagement der Bundesregierung darstellen. Der Innovationsfonds könnte die benötigten Startfinanzierung liefern. Eine zusätzliche Option könnte durch eine starke Nachfrage der Patienten und deren Bedürfnisse ausgelöst werden. So gibt es beispielsweise im Kinzigtal ein hohes Interesse an derartigen Lösungen. Letztendlich bleibt die Frage nach privaten Public-Private-Partnership-Modellen bzw. Health Impact Bonds als Finanzierungsoptionen für die Startinvestierung in ACO-ähnliche Entwicklungen in Deutschland. Die Zeit wird zeigen, welche dieser Optionen oder welche Kombination dieser Lösungen einen Weg für Deutschland weisen wird.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an den Autor Timo Schulte, Leiter Health Data Analytics & IT, OptiMedis AG (t.schulte@optimedis.de)