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04. Juli 2012

OptiMedium Juli 2012

SVR-Gutachten: Führt Integrierte Versorgung zu mehr Effizienz im Gesundheitswesen? Am 20. Juni überreichte der Sachverständigenrat (SVR) im Gesundheitswesen sein aktuelles Gutachten „Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung“ an Bundesgesundheitsminister Bahr. Die Gutachter sind u. a. der Frage nachgegangen, welche Bedeutung Selektivverträge für mehr Effizienz und Effektivität im deutschen Gesundheitswesen haben. Dabei haben […]

SVR-Gutachten: Führt Integrierte Versorgung zu mehr Effizienz im Gesundheitswesen?

Sachverständigenrat (SVR)Am 20. Juni überreichte der Sachverständigenrat (SVR) im Gesundheitswesen sein aktuelles Gutachten „Wettbewerb an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung“ an Bundesgesundheitsminister Bahr. Die Gutachter sind u. a. der Frage nachgegangen, welche Bedeutung Selektivverträge für mehr Effizienz und Effektivität im deutschen Gesundheitswesen haben. Dabei haben sie sich intensiv mit der Integrierten Versorgung nach § 140a-d SGB V auseinandergesetzt und hierzu auch aktuelle Daten erhoben.

In ihrem Gutachten konstatieren die Sachverständigen, dass die Bereitschaft der Krankenkassen, in innovative Versorgungskonzepte zu investieren, derzeit stagniere. Sie führen dies maßgeblich auf finanzielle Erwägungen zurück, wonach Kassen eine eher unsichere Rendite bei erheblichen Anfangsinvestitionen erwarteten (Randnr. 396 in der Langfassung). Der Rat scheut in dieser Frage auch nicht zurück vor deutlicher Kritik am Gesetzgeber, etwa wenn er ihm vorwirft, dass er auf eine ordnungspolitisch inadäquate Regulierung (Zwang zum Abschluss von Hausarztverträgen) mit einer nicht minder problematischen neuen Regulierung wie der Unterwerfung unter die Beitragssatzstabilität reagiere.

Um selektive Vertragsformen auszuweiten, empfehlen die Gutachter den Abbau von innovationshemmenden Einschränkungen der Vertragsfreiheit, die Erweiterung selektiver Vertragsoptionen sowie eine stärkere Förderung der evaluativen Versorgungsforschung. Die Gutachter plädieren zudem für ein sogenanntes internes Bereinigungsverfahren zwischen den Vertragspartnern der Selektivverträge, welches u. a. für die Kassen unbürokratischer wäre als das heute gültige Verfahren. Danach würden die Leistungserbringer weiterhin ihre Leistungen mit der KV abrechnen und dann das für die erbrachten IV-Leistungen erhaltene Honorar an die Kassen weiterleiten. Diese hätten dann die Möglichkeit, die am IV-Vertrag beteiligten Leistungserbringer nach gesonderten Maßstäben, z. B. Pay for Performance, zu vergüten. Übrigens: Nur bei 2,2% der IV-Verträge würden nach Erhebungen des Rates ein Bereinigungsverfahren angewendet (Randnr. 427).

Um innovative Versorgungskonzepte zu fördern, seien klare Kriterien erforderlich, u. a. eine Beschränkung auf sektorenübergreifende Projekte, eine verpflichtende Evaluation sowie eine Priorisierung von populationsbezogenen (indikationsübergreifenden) Versorgungskonzepten. Finanziert werden sollen diese Versorgungsformen aus dem Gesundheitsfonds durch zinsverbilligte Darlehen aus einem Kapitalfonds mit Sicherungsverzicht. Demnach erhielten die Krankenkassen für innovative Versorgungsprojekte zinsverbilligte oder zinslose Darlehen für ihre Zusatzkosten nach Bereinigung, die sie erst nach fünf Jahren zurückzahlen müssten. Wenn die Versorgungsprojekte zu keiner Einsparung gelangt seien, aber immerhin zu einer nachweislichen Verbesserung des gesundheitlichen Outcomes geführt hätten, dann könne auch an einen teilweisen Rückzahlungsverzicht gedacht werden. Diese Finanzierungsform würde die einzelne Kasse ebenso entlasten wie den Gesundheitsfonds. Dies könnte dazu führen, dass die Krankenkassen ihre Investitionszurückhaltung zugunsten einer stärkeren Orientierung am späteren Erfolgsergebnis aufgeben würden (Randnr. 397-398). Der Rat kommt in dieser Frage zu ähnlichen Schlussfolgerungen, wie wir es vor einigen Jahren in einem White Paper für mehr Forschung und Entwicklung von Innovationen im Gesundheitswesen vorgeschlagen haben. Zu bedenken wäre, ob die zinslosen Darlehen nicht nur an Krankenkassen, sondern auch an regionale Gesundheitsunternehmen mit IV-Verträgen ausgezahlt werden sollten. Hiervon versprechen wir uns nachhaltige Investitionen in die Gesundheit der Bevölkerung.

Seit dem Ende der Anschubfinanzierung gibt es keine detaillierten Daten mehr zu dem Vertragsgeschehen in der Integrierten Versorgung. Deshalb hat der Sachverständigenrat durch Umfragen bei den Kassen und Krankenhäusern eigene Daten erhoben. So sei die Zahl der IV-Verträge trotz des Auslaufens der Anschubfinanzierung seit 2008 nahezu stabil, die Zahl der Teilnehmer sei bis 2011 sogar auf knapp 2 Millionen Versicherte gestiegen – eine Steigerung von 16% gegenüber 2008. Die Ergebnisse im Einzelnen:

 

2008

2009

2010

2011

Verträge (brutto)

6.400

6.262

6.374

6.339

Teilnehmer

1,661 Mio.

1,635 Mio.

1,772 Mio.

1,926 Mio.

Ausgaben €

1,225 Mrd.

1,224 Mrd.

1,353 Mrd.

1,352 Mrd.

 

Die Krankenkassen nannten als die wichtigsten Gründe für die Teilnahme an einen IV-Vertrag die Steigerung der Qualität der Versorgung (4,41 auf einer Skala von 1 (gar nicht wichtig) bis 5 (äußerst wichtig), Kostensenkungen (4,37), eine höhere Patientenzufriedenheit (4,36), die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten (4,30), ein besseres Schnittstellenmanagement (4,14) und erst danach den Imagegewinn für die Krankenkasse (3,94). Doch wurden diese Erwartungen auch erfüllt? 70% der Kassen bewerten die Qualität der Integrierten Versorgung besser als in der herkömmlichen Versorgung und knapp 30% für gleich gut. Allerdings würden die Erwartungen bei den Aspekten Kostensenkungen und Schnittstellenmanagement nur unzureichend erfüllt (Randnr. 455 – 458). Als wichtigste Hindernisse zum Abschluss neuer Verträge nannten die Kassen formalisierte Ausschreibungsverfahren und den administrativen Aufwand für die Regelungen zur Budgetbereinigung (Randnr. 459 – 463). Ferner ermittelten die Gutachter, dass mehr als jedes dritte Krankenhaus an der Integrierten Versorgung teilnehme. Je größer das Haus und je umfassender die Leistungen, desto höher sei die Bereitschaft zur Teilnahme. Von den Maximalversorgern hätten sogar über 2/3 einen IV-Vertrag. Leistungserbringer im ambulanten Sektor, insbesondere Vertragsärzte, wurden nicht befragt.

Das 432 Seiten starke Sondergutachten kann sicherlich dazu beitragen, die oft etwas oberflächige Diskussion um die Chancen und Gefahren von Wettbewerb im Gesundheitswesen zu versachlichen und auf eine gut begründete Position zu stellen. In dieser Ausgabe unseres Newsletters haben wir nur einen Teil vorstellen können. Die vollständige Lektüre und intensive Diskussion sei ausdrücklich empfohlen. Hierzu haben Sie u. a. in unserem Forum die Möglichkeit. Die Kurz- und Langfassung des Gutachtens können Sie hier herunterladen.

Das Gutachten wird im Rahmen eines Symposiums am 18. September 2012 in Berlin vorgestellt.

     
Vision 2015

„Ein Bürgschaftsfonds für Versorgungsinnovationen unterstützt die Anschubfinanzierung der Leistungspartner“, heißt es in unserer Vision 2015. Diese und andere Formen zur Finanzierung von Integrierten Versorgungsprojekten, z. B. ein Innovationsfonds oder ein zinsloses Darlehen aus dem Gesundheitsfonds, wie es der SVR angeregt hat, sind derzeit im Gespräch.

Was halten Sie von diesen alternativen Finanzierungsformen innovativer Versorgungsformen? Sollte es nur eine zeitlich begrenzte Anschubfinanzierung oder eine dauerhafte Gewährleistung geben? Diskutieren Sie diese Fragen in unserem Forum.

 

 

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