Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
und jetzt? Geht nach der aktuellen COVID-19-Pandemie alles weiter wie gehabt? Die Gesundheitsämter zwar mit etwas mehr Personal, ein paar Ärzte mit Online-Sprechstunden, die Pflege (hoffentlich) mit etwas Aufwind – aber sonst „business as usual“? Dies ist einer der seltenen Momente, in denen aus einer Krise auch relevante Veränderungen entstehen könnten: Hin zu einem koordinierten, digital vernetzten und widerstandsfähigen Versorgungssystem, das auch in Krisensituationen schnelles und abgestimmtes Handeln ermöglicht. Und das im Vertrauen auf und im Konsens mit den Bürgern sorgfältig Risiken abwägt und statt auf „Social Distancing“ auf „Physical Distancing“ bei gleichzeitiger sozialer Nähe setzt. Wie wir die Entwicklung dahin beschleunigen können, beschreibt die International Foundation for Integrated Care in ihrer aktuellen, sehr lesenswerten Publikation „Realising the true value of integrated care: beyond COVID-19“.
Deutliche Folgen eines verspäteten Investments
Die Logik der Ökonomie lässt uns auf einen solchen Weg vertrauen: Das fragmentierte System ohne Koordination ist einfach zu teuer, als dass es ein Wegweiser für die bevorstehende Legislatur unter den Bedingungen von Ressourcenknappheit und Restrukturierung sein könnte. Der Fachkräftemangel ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern zwingt zu einer Neubestimmung der Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen, damit die Berufe auch mit Stolz und Freude ausgeübt werden können. Die Gesundheitskompetenz der Bürger kann zwar noch deutlich verbessert werden, aber sie erlaubt schon heute mehr Einbeziehung und Vertrauen.
Die 34 Milliarden € Effizienzgewinn für Deutschland (12% der Gesamtkosten von 2018), die McKinsey angegeben hatte (vgl. hier), wurden zwar ohne hinreichende Berücksichtigung des dafür erforderlichen Investments gerechnet, zeigen aber trotzdem massive Einspar- und Verbesserungsmöglichkeiten einer „smarten“ Transformation durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz, Big Data und digitalen Applikationen.
Die enormen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Staatsverschuldung, die Zerstörung von unternehmerischen Existenzen und Lebensträumen sowie die verlorenen Lebensjahre der an Covid-19 oder durch die Auswirkungen Gestorbenen zeigen die Folgen eines verspäteten Investments in neue Strukturen nur allzu deutlich auf. Gemeinsam mit den Akteuren, mit Sozialleistungsträgern, Sozialinvestoren und privaten wie staatlichen Investoren müssen wir jetzt darauf hinarbeiten, dass die Regierungen in Europa die Lehren ziehen und den Kräften, die auf gegenwärtige Strukturen beharren, etwas entgegensetzen. In dem neuen französischen Großprojekt „Territoires de santé de demain“, zu dem uns die Eurometropole Strasbourg hinzugezogen hat, kommen all diese Investoren zusammen.
Neue Chance für die Integrierte Versorgung?
Aktueller Lichtblick ist ein Änderungsantrag der Fraktionen von Union und SPD zum Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, über den die Ärzte Zeitung Anfang Juni berichtet hatte.
Demnach will die Koalition die bisherigen Restriktionen für Integrierte Versorgungs-Verträge etwas lockern. Welche Elemente aus unserer Sicht positiv sind und wo es haken könnte, lesen Sie in unserem Beitrag „Überraschende Weiterentwicklung in Sachen Integrierte Versorgung: Gesetzgeber macht Tür weiter auf“.
Viel Spaß beim Lesen – wir freuen uns über Feedback!
Ihr Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender OptiMedis