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30. August 2023

GVSG: Rettungsanker für Krankenhäuser in den Regionen

Von Dr. h. c. Helmut Hildebrandt, PD Dr. Heidrun Sturm

Eine Kurzfassung wurde bereits bei führen & wirtschaften, Ausgabe August veröffentlicht.

Wenn der Begriff „Revolution“ für eine Reform von Karl Lauterbach angemessen ist, dann am ehesten für das geplante „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“, kurz „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG“. Denn damit leitet der Gesundheitsminister eine Umkehr ein – von der bisherigen Ausrichtung auf die jeweiligen Akteure hin zur regionalen Population. Für Krankenhäuser ergeben sich dadurch neue Optionen.

Auch wenn es im Gesetzgebungsverfahren sicherlich noch einige Änderungen geben wird, lassen sich schon jetzt erste Orientierungen ableiten. Wir gehen hier auf drei Bereiche des Gesetzentwurfs ein, die diverse Instrumente für eine regionale und integrierte Versorgung bieten und zusammen mit Level Ii-Standorten sowohl Chancen als auch Herausforderungen für Krankenhäuser und andere Akteure mit sich bringen.

  • Gesundheitskioske § 65g
  • Primärversorgungszentren § 73a
  • Gesundheitsregionen § 140b

Gesundheitskioske

Mit dem ersten Gesundheitskiosk Deutschlands in einem der ärmsten Stadtteile von Hamburg haben wir 2017 auf zwei Herausforderungen reagiert. Zum einen die Bevölkerungsstruktur mit vielen Empfängern staatlicher Transferleistungen und einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, zum anderen extrem hohe Belastungen für die Arztpraxen.

Der Gesundheitskiosk ist eingebettet in ein Gesundheitsnetzwerk, das medizinische und soziale Versorgungsstrukturen verbindet. Er dient als leicht zugängliche Anlaufstelle bei Sprachbarrieren, für die Beratung vor und nach einem Arztbesuch, die Vermittlung bestehender Angebote sowie die – wie der Gesetzentwurf hervorhebt – „navigationale Gesundheitskompetenz“. Zum Netzwerk gehören lokale Vereine, soziale Beratungsstellen, Arztpraxen, Pflegedienste und Kliniken. Es ist verbunden mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst und eventuell den Sozialleistungsträgern.

Ähnliches sieht der Gesetzentwurf jetzt vor, der schon in der Überschrift des § 65g die Zielsetzung beschreibt: „Niedrigschwellige Beratungsangebote von Krankenkassen und Kommunen über medizinische Behandlung und Prävention in Bedarfsregionen (Gesundheitskiosk)“. In der Begründung wird die Ausrichtung auf „sozial oder strukturell benachteiligte Regionen“ erweitert, es werden also nicht nur städtische Quartiere, sondern auch ländliche Problemregionen als geeignete Orte für die Intervention vorgesehen. Auf Initiative der kommunalen Gebietskörperschaften sollen die Krankenkassen – und hier ist die erste Neuerung gegenüber den alten Regelungen – die Gesundheitskioske gemeinsam und einheitlich zu 74,5 % regelhaft finanzieren, die PKV zu 5,5% und die Gebietskörperschaften zu 20%. Der Gesetzentwurf gibt zirka 400.000 Euro als nicht bindende Orientierungsgröße für die jährlichen Kosten eines Kiosks an, fordert eine enge Vernetzung mit dem Sozialraum und den Gesundheitsakteuren, lässt aber die konkrete Ausgestaltung, ob mit oder ohne Außenstellen und wie die Verbindung zu den Praxen und den Sozialdiensten in Krankenhäusern erfolgen soll, offen.

Die Aufgaben werden dagegen recht genau beschrieben. Als mittelfristige Perspektive wird zum Beispiel die Möglichkeit dargestellt, dass in den Kiosken „entsprechend qualifiziertes Pflegepersonal medizinische Routineleistungen in den Kiosken erbringt. Denkbar sind etwa die Durchführung von Testungen auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, Blutdruck und Blutzucker messen, Verbandswechsel, Wundversorgung und subkutane Injektionen.“ Als Voraussetzung werden die Veranlassung und die Verantwortung der Leistungen durch Ärzte genannt, wobei sowohl Ärzte gemeint sind, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, als auch Ärzte des ÖGD. Denkbar sei auch, dass zukünftig qualifiziertes Pflegepersonal Folgeverordnungen für Verbands-, Heil- und Hilfsmittel sowie Häusliche Krankenpflege und Überweisungen an Fachärzte ausstellt, wobei auf die Modellvorhaben nach § 64d SGB V verwiesen wird.

Im Wissen um die eventuelle Zurückhaltung der Krankenkassen bei der „Co-Finanzierung“ sieht der Gesetzentwurf auch gleich die Daumenschraube eines möglichen Schiedsverfahrens zugunsten der Kommunen vor. Und zum Nachweis des erzeugten Nutzens ist eine begleitende wissenschaftliche Auswertung verpflichtend vorgesehen.

Zur Trägerschaft finden sich im Gesetzentwurf keine Vorgaben, bezüglich der Leitung werden qualifizierte erfahrene Pflegekräfte ins Spiel gebracht. In Übertragung der vorgesehenen Regelung zu den Gesundheitsregionen könnte man annehmen, dass Träger sowohl die Kommunen und Landkreise selbst sein werden – beispielsweise über den Öffentlichen Gesundheitsdienst – oder aber Krankenhäuser, MVZ, Ärztenetze oder andere.

Fallbeispiel für ein Case-Management

Fallbeispiel:

Eine 65-jährige Frau, die an COPD erkrankt ist, musste bereits zweimal die Notaufnahme des nahegelegenen Krankenhauses aufsuchen, weil es ihr so schlecht ging. Sie fühlt sich überfordert, aber Ihrem Hausarzt fehlt die Zeit für eine intensive Unterstützung. Deshalb empfiehlt er ihr, sich zusätzlich durch eine Case- und Care-Managerin (CCM) beraten zu lassen. Schon nach kurzer Zeit fühlt die Patientin sich deutlich besser. Die Case- und Care-Managerin hat ihr geholfen, sich im Alltag besser zu strukturieren. Sie versteht ihre Krankheit nun sehr viel besser, weiß, wann sie reagieren muss, und traut sich, Unterstützungsleistungen anzunehmen. Letztendlich hat sie es sogar geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören, schläft mittlerweile sehr viel besser und kann sogar wieder mit dem Hund spazieren gehen, da die Luftnot nicht mehr so stark ist.

Welche Vorteile hat das Modell „Gesundheitskiosk“ für Krankenhausträger?

Viele Krankenhäuser tragen bereits heute Verantwortung für die regionale Versorgung, da sie – teilweise aus der Not heraus – ambulante Arztsitze übernommen haben. Wir gehen davon aus, dass sie von Landkreisen und Kommunen als erfahrene Partner für die Trägerschaft von Gesundheitskiosken bevorzugt werden. Für die Krankenhäuser könnte sich das lohnen, da sich die Kioske in vielen Bereichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit haben:

  • Bessere Steuerung: Mit den vernetzten Kiosken kann mittelfristig ein lokaler, auch telemedizinisch und datenseitig verbundener Hub entwickelt werden, der die Patienten zum richtigen Zeitpunkt und mit den wichtigen Informationen an die richtige Stelle steuert.
  • Förderung von Gesundheitskompetenz: Fehlende Gesundheitskompetenz trägt dazu bei, dass die Krankenhausambulanzen oft mit den „falschen“ Patienten überfüllt sind.
  • Beratung zu sozialen Themen, Gesundheitsförderung etc.: Die Beratung im Kiosk erspart den Ärzten im krankenhauseigenen MVZ Zeit, die normalerweise für Gespräche rund um sozialmedizinische und – organisatorische Themen oder gesundheitsförderliches Verhalten eingesetzt wird.
  • Schulungen zu Bewegung und Ernährung: Schulungen oder die Teilnahme an Selbsthilfegruppen, Suchtberatung etc. begrenzen die Inanspruchnahme der Ärzte auf das richtige Maß.
  • Telemedizin: Im ländlichen Raum erlaubt die telemedizinisch und durch Point-of-Care Diagnostik unterstützte Sprechstunde dem größeren Krankenhaus die Online-Behandlung, dem Patienten erspart sie die Fahrt in die nächste Kreisstadt.

Primärversorgungszentren

Nach dem § 73 sollen die Primärversorgungszentren als neuer § 73a eingefügt werden. Sie können in Regionen gegründet werden, für die die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen, die an anderer Stelle auch noch einmal um eine stärkere Mitsprache durch die Länder erweitert werden, eine ärztliche Unterversorgung sehen oder erwarten. Betreiber können zugelassene Ärzte oder MVZ sein, die dafür von der KV eine Zulassung erhalten. Dazu müssen sie drei volle hausärztliche Versorgungsaufträge sowie diverse Kooperationsvereinbarungen nachweisen und zusätzliche berufsgruppenübergreifende, koordinierte, kooperative und versorgungssteuernde Versorgungselemente und Mitarbeiter anbieten. Der genaue Umfang und die Vergütung – insbesondere bei den ergänzenden nichtärztlichen Leistungen – müssen von der KBV und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen in einem Bundesrahmenvertrag innerhalb von sechs Monaten nach Gesetzeskraft erfolgen, ansonsten werden sie vom Bundesschiedsamt festgelegt.

Im Prinzip folgt der Gesetzgeber mit diesem Modell den Pilotarbeiten der Robert Bosch Stiftung mit den so genannten „PORT-Zentren“ sowie Lösungen, die von engagierten jungen Teams aus Ärzteschaft, Pflege und Sozialarbeit in Berlin und Hamburg aufgebaut wurden. Auch die Barmer und der vdek hatten Konzeptideen hierfür vorgelegt, letzterer mit den „Regionalen Gesundheitszentren“ allerdings schon eher auf einem Niveau, das dem Level Ii der Klinikreform entspricht. Es bleibt abzuwarten, wie sich eine von der Robert Bosch Stiftung und den Pilotgruppen angedachte Teamstruktur der gleichrangigen Zusammenarbeit mit der Anknüpfung an die KV-Abrechnung und damit der Leitungsform durch die Ärzteschaft weiterentwickeln wird.

Welche Vorteile hat das Modell „Primärversorgungszentren“ für Krankenhausträger?

Auch hierfür gibt es Vorläufer. So hatten wir mit den Medizinischen Versorgungszentren des Landkreises Darmstadt-Dieburg in Verbindung mit der Robert Bosch Stiftung Mitabeitende für Case Management eingestellt. Dieses Modell wird vor allem für Krankenhausträger in strukturschwachen Regionen mit schon vorhandenen MVZ-Strukturen interessant sein. Aber auch für die Umwandlung und Ergänzung von Standorttransformationen sowie die Umwandlung von kleinen Grund- und Regelhäusern in Level Ii-Häuser bietet es sich an. Die im Gesetzentwurf noch vorwiegend hausärztlich gedachte Logik könnte in dem erweiterten Fall dann intensiver mit der fachärztlichen, der Pflege- und der Notaufnahme-Versorgung verknüpft werden – analog wie digital. Für Ärzte und anderes Gesundheitspersonal könnten derartige interprofessionelle Strukturen durchaus attraktivere Arbeitsbedingungen und Optionen für die Weiterbildung im Verbund bieten. Die Hürde, drei volle hausärztliche Versorgungsaufträge nachzuweisen, und dafür dann auch interessierte Ärzte zu finden, wird erschwerend wirken. Die Wirtschaftlichkeit wird entscheidend von den Festlegungen im Bundesrahmenvertrag abhängen und ob dort die durchgehende Besetzung der drei vollen Arztstellen verlangt wird.

Gesundheitsregionen

Kommen wir zu dem ambitioniertesten Vorhaben, den Gesundheitsregionen nach § 140b. Sie stellen für Krankenhäuser wahrscheinlich das wichtigste Element in diesem Gesetzentwurf dar. Und auch sie folgen in Teilen den von uns über jetzt schon fast über zwei Jahrzehnte entwickelten Lösungen – im Kinzigtal in Südbaden und den nordhessischen Kreisen Schwalm-Eder und Werra-Meißner-Kreis.

Im Grunde reagiert der Referentenentwurf auf die heutige Situation der „organisierten Unverantwortlichkeit“ für die gesamthafte Prävention und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Gleichzeitig reagiert das Modell auf die Erkenntnisse der Pandemie, wo lokale Kooperationen erforderlich waren und verantwortliche regionale Strukturen jeweils kurzfristig vereinbart und aufgebaut wurden, wenn auch teilweise nur bilateral zwischen Krankenhaus und ÖGD. Der Gesetzentwurf beschreibt den Gesundheitsregionenvertrag als eine „alternative Organisation der Regelversorgung ohne Einschreibepflicht der Versicherten und mit Beibehaltung der freien Arzt- und Leistungserbringerwahl“. Indem er als Vertragspartner die Landesverbände der Krankenkassen vorsieht und die Einschreibepflicht herausnimmt, zieht er auch Schlussfolgerungen aus den negativen Erfahrungen mit den administrativen Komplexitäten der selektiven Einzelverträge und der dortigen, den Start behindernden Pflicht zu Einschreibungen. 

Initiatoren für die Vereinbarung eines Gesundheitsregionenvertrags sind die Kreise oder kreisfreien Städte, die „regionale Defizite der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Versorgung“ beheben oder den Zugang zur regionalen Gesundheitsversorgung verbessern wollen. Nicht erwähnt, auch wenn sie mitgedacht werden sollten – sind überproportionale Morbiditätslasten und besondere strukturelle Herausforderungen. Die Kreise müssen sich außerdem hälftig an dem Aufbau einer solchen Konstruktion beteiligen. Die Krankenkassen haben als Folge der „gemeinsam getragenen Gestaltungsverantwortung“ die andere Hälfte zu tragen. Unklar bleibt die Frage, wie die Aktivitäten nach der Startphase des Aufbaus, finanziert werden können. Der Referentenentwurf sieht einerseits die Fortsetzung der hälftigen Finanzierung von Investitionen und Management vor, bietet aber auch die Möglichkeit des Abschlusses eines § 140a-Vertrages. Dabei wäre allerdings noch zu regeln, wie auch weiterhin die Vereinfachung bzgl. des Verzichts auf die Einschreibungen sowie die Möglichkeit für eine gemeinsame Datentransparenz erhalten bleiben können, genauso wie die die Chance für einen Shared Savings-Vertrag als Folge der Investitionen in die Transformation bzw. regionale Teil-Budgetverträge.

Für die Trägerschaft lässt der Entwurf viele Freiheiten offen. Aus der Begründung: „Die Vertragspartner einer Gesundheitsregion sind frei, wie sie die Organisation einer Gesundheitsregion (Management), umsetzen. Das Management kann je nach Vereinbarung aus dem entsprechenden Gesundheitsregionenvertrag von den beteiligten Krankenkassen, den Kommunen (ÖGD) oder von kommunalen Gesundheitskonferenzen übernommen oder an Organisationen des GKV-Systems (z. B. KV als Dienstleister oder Praxisnetze, die von den KVen anerkannt sind) übertragen werden. Externen (privaten) Managementgesellschaften kann – wie bereits jetzt in § 140a SGB V – ebenfalls das Management der Region übertragen werden. Managementgesellschaften sind aber nicht regelhaft als neue Akteure vorzusehen.“

Welche Vorteile hat das Modell „Gesundheitsregionen“ für Krankenhausträger?

Für aktive Krankenhausträger, die sich ohnehin mit Patientenportalen, Ambulantisierung, der Übernahme von Teilen der ambulanten Versorgungsverantwortung und der Transformation ihrer heutigen Standorte beschäftigen, bietet das Modell eines Gesundheitsregionenvertrags einen zentralen Anknüpfungspunkt. Viele Krankenhausverbände, ob kommunal, kirchlich oder privat, hatten sich schon in Vorbereitung der Bundestagswahlen 2021 dafür eingesetzt. Allerdings wird es sehr auf die Beratungen und Anhörungen im Gesetzgebungsverfahren ankommen, denn es gibt noch praktische Stolpersteine, die entfernt werden sollten. In der aktuellen Form würde das Modell auch initial nur eine kleine Erweiterung der freundlichen Gespräche in den „Regionalen Gesundheitskonferenzen“ oder an den „Runden Tischen“ darstellen. Und da die Krankenkassen zwar zur Verhandlung verpflichtet werden könnten, notfalls auch durch die Krankenkassenaufsicht der Bundesländer, aber kein Schiedsverfahren vorgesehen ist, kann es passieren, dass mit interessierten Kreisen und regionalen Trägern so lange verhandelt wird, bis sie das Vorhaben aufgeben.

Immerhin ist mit dem Modell aber auch eine andere Möglichkeit gegeben: Es können sich wirkliche Verantwortungs-Gemeinschaften bilden, die auch in die Transformation der regionalen Versorgung, zielgerichtete Prävention und die Vermeidung von Krankheitsprogressionen investieren, und die dann aus dem damit erreichten Gesundheitserfolg für die Bürger und die Krankenkassen refinanziert werden. Letzteres wird wahrscheinlich eine notwendige Bedingung werden angesichts der zu erwartenden Finanzschwierigkeiten der Krankenkassen in den nächsten Jahren.  Krankenhäuser sollten dabei verfolgen, wer sich auf der regionalen Ebene für die Übernahme einer Managementverantwortung auf den Weg macht und wann sich die Formierung einer Planungs- und Entwicklungsgesellschaft dafür anbietet. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg hat kürzlich in dieselbe Richtung  gedacht. Er sieht in den geplanten und bevölkerungsbezogen definierten Vorhaltebudgets der Krankenhäuser schon eine Art „stationäres Regionalbudget“, das um eine sektorenübergreifende Perspektive erweitert, regionale Capitation-Modelle auch jenseits der Psychiatriebudgets ermöglichen könnte[1]. Der Gedanke an Shared Savings- Regionalbudgets in Verbindung mit dem GVSG ist insofern in der Welt.


Nur kursorisch möchten wir noch erwähnen, dass der Gesetzgeber im GVSG auch noch weitere Themen mit Bedeutung für die Krankenhäuser aufgegriffen hat. So sollen die Länder ein Mitentscheidungsrecht für die Entscheidungen der Zulassungsausschüsse in Verfahren mit besonderer Versorgungsrelevanz erhalten. Die Strukturfonds der KVen sollen auch präventiv zur Vermeidung von drohender Unterversorgung eingesetzt werden können und die Zulassungsvoraussetzungen insbesondere für kommunale MVZs erleichtert werden. Außerdem soll die Höhe der selbstschuldnerischen Bürgschaftserklärungen bzw. der Sicherheitsleistungen für alle MVZ bundeseinheitlich gesenkt und normiert werden.

Zusammenfassung

Mit dem Referentenentwurf wird eine ganz entscheidende Umkehr der bisherigen Ausrichtung auf die jeweiligen Akteure und Sektoren eingeleitet – hin zu einer Perspektive auf die jeweilige regionale Population und damit zu einem „Public Health“-, oder, wie es international gern genannt wird, zu einem „Population Health-Ansatz“. Zwei Veröffentlichungen, die vor wenigen Wochen nahezu zeitgleich erschienen sind, zeigen, dass ein solcher Ansatz in einem gewissen Sinn einer Revolution gleichkommt und eine Perspektive bietet, die Anreizlogik des Gesundheitswesens positiv zu verändern, so dass die „Produktion von Gesundheit“ belohnt wird. Die eine Veröffentlichung in NEJM Catalyst vergleicht die Ergebnisse von Endoprothetik-Eingriffen in einer „Population Health“-Umgebung bei Kaiser Permanente mit dem unserer klassischen Umgebung bei AOK und Asklepios mit Daten aus dem Jahr 2019. Bei 1,67 % der gleich alten, aber etwas kränkeren Patienten bei Kaiser Permanente musste innerhalb von 365 Tagen die Operation wiederholt werden, während es bei den AOK-Patienten 2,54 % betraf[2]. Die andere Veröffentlichung wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) herausgegeben. Sie modelliert für den Shared Savings-Ansatz von OptiMedis, kumuliert bis zum Jahr 2050, insgesamt 97.558 vermiedene Lebensjahre mit Krankheitseinschränkungen für Deutschland bei gleichzeitig 4,6 % einzusparenden GKV-Kosten von 2022 bis 2050 pro Jahr[3]

Durch das Kontinuum an Instrumenten – Gesundheitskiosk, PVZ, Gesundheitsregionen – zusammen mit der sektorenübergreifenden Option des Level Ii-Krankenhauses bietet sich für Regionen bzw. Kommunen die Möglichkeit, für ihre Bürger kohärentere Versorgungspfade mit weniger Versorgungsbrüchen zu schaffen und damit Ärzte und Kliniken zu entlasten. Dies würde gleichzeitig durch attraktivere Arbeitskontexte Fachpersonal anziehen oder vor Ort halten. Gut organisierte und in ihrem Management investitionsfähige regionale Netzwerke können mit den Krankenkassen die Transformation hin zu einer besseren Vorsorge, einem klügeren Management von bestehenden Erkrankungen und der Vermeidung ihres Fortschreitens organisieren. Das GVSG ebnet hierfür den Weg, braucht aber noch eine gute anreizkompatible Begleitung durch Veränderungen des Morbi-RSA und praktikable Umsetzungsstrategien. Der Zeitpunkt für die Gründung von Planungs- und Entwicklungsgesellschaften in den Landkreisen ist allerdings gekommen.

Literatur und nähere Angaben bei den Verfassern. Kontakt via h.hildebrandt@optimedis.de

Quellen:

[1] https://observer-gesundheit.de/trotz-kritikpunkte-gesundheitsversorgungsstaerkungsgesetz-ist-grundsaetzlich-positiv-zu-bewerten/

[2] Simon B, Navarro R, Reddy NC, Convissar JL, Rebrenovich V, Paxton E, Fasig BH, Harris J, Prentice H, Bottomley EM, Ross MN, Walker M, Grimberg A, Spoden M, Malzahn J (2023) Patient Pathway Comparison for Total Hip Replacement in the United States and Germany — Why the Payment Model Matters. NEJM Catalyst Vol. 4 No. 6, June 2023, DOI: 10.1056/CAT.22.0456

[3] OECD (2023), Integrating Care to Prevent and Manage Chronic Diseases: Best Practices in Public Health, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9acc1b1d-en.