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16. Dezember 2011

OptiMedium 12/2011

Integrierte Versorgung in der Schweiz soll 60% der Bevölkerung erreichen Anfang Dezember reiste eine Delegation des Bundesverbandes Managed Care (BMC) auf Einladung der Schwesterorganisation Forum Managed Care (FMC) in die Schweiz, um sich dort über die aktuelle Entwicklung in der Integrierten Versorgung zu informieren. Die Exkursion begann in Zürich und führte die zwanzigköpfige deutsche Delegation […]

Integrierte Versorgung in der Schweiz soll 60% der Bevölkerung erreichen

Anfang Dezember reiste eine Delegation des Bundesverbandes Managed Care (BMC) auf Einladung der Schwesterorganisation Forum Managed Care (FMC) in die Schweiz, um sich dort über die aktuelle Entwicklung in der Integrierten Versorgung zu informieren. Die Exkursion begann in Zürich und führte die zwanzigköpfige deutsche Delegation in Anschluss nach Bern.

Schweiz-ReiseDer Schweizer Arzt und Nationalrat Dr. Ignazio Cassis stellte den Delegierten die Beschlüsse des Schweizer Parlaments zu einer Reform des Krankenversicherungsrechts vor. Danach soll der jetzige Anteil der Versicherten in den Integrierten Versorgungsmodellen (IV-Modellen) von rund 13% in fünf Jahren auf 60% erhöht werden. Dies wurde mit einer knappen Zweidrittel-Mehrheit und nach einem langen Diskussionsprozess in Bundesrat und Nationalrat beschlossen – mit den Stimmen der bürgerlichen und rechten Parteien sowie einem Drittel der Stimmen der Sozialdemokratischen Partei (SP) und zwei Drittel der Stimmen der Grünen.

Folgende Änderungen sollen diese massive Zunahme bei IV-Modellen bewirken:

  • Für die Versicherten in IV-Modellen wird der Selbstbehalt auf höchsten 500 SFR abgesenkt und für die Versicherten in der traditionellen Versorgung auf bis zu 1.000 SFR verteuert. Gleiches gilt für den Selbstbeteiligungsprozentsatz oberhalb des Selbstbehalts: 10% statt 15%. Verbunden mit der weiterhin geringeren Prämie für die Versicherten in IV-Modellen soll damit ein massiver ökonomischer Anreiz ausgelöst werden.
  • Versicherer können die Bindungswirkung für Versicherte in IV-Modellen von einem auf drei Jahre erhöhen. Weiterhin können sie Prämienreduzierungen mit den Versicherten vereinbaren, die ausschließlich die in Netzen organisierten Hausärzte konsultieren. Im Gegenzug sollen Krankenkassen keine Arztpraxen oder Zentren mehr besitzen dürfen und sich nicht mehr daran beteiligen. 
  • Budgetmitverantwortung der Ärztenetze als Regelform für IV-Modelle.
  • Einführung eines genaueren und die Morbidität besser ausgleichenden Risikostrukturausgleichs inklusive der Vorgabe von Kodierungsverpflichtungen für die Ärzteschaft.
  • Die Regierung kann weitergehende Maßnahmen beschließen, sollten die Versicherungen nicht innerhalb von drei Jahren ein flächendeckendes Angebot an  IV-Modellen vereinbaren.

Motiv des Schweizer Gesetzgebers für diese Reform ist die durchgängige Erkenntnis zahlreicher Studien, dass die IV-Modelle risikoadjustierte Kostenvorteile von bis zu 18% bewirken können, allerdings in einigen Kantonen die Ärzteschaft und in anderen auch die Krankenkassen sich mit dem Abschluss von Verträgen sehr zurückhalten. Ein Problem bei der Berechnung der Kostenvorteile ist das Fehlen von eindeutigen Kodierungen in den Abrechnungen der Ärzte, d. h., die Morbidität der Versicherten kann nur in Ansätzen adjustiert werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Es haben sich mehrere Initiativen gebildet, die gegen dieses Konzept ein Referendum erwirken wollen und dafür bis zum 17. Januar 2012 das Quorum von 50.000 Stimmen sammeln wollen. Sollte dies erreicht werden, findet im Herbst 2012 eine Volksabstimmung statt. Die Initiativen werden wesentlich getragen von Organisationen der Ärzteschaft, die auch in einer Urabstimmung den FMH, den Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, dazu gebracht haben, sich für das Referendum einzusetzen. Interessanterweise hat sich auch die SP dem Referendum angeschlossen. Auf der anderen Seite stehen u. a. die Ärztenetze und der Berufsverband Hausärzte Schweiz, die sich für die Vorlage des Parlaments aussprechen. Von dieser Seite sind ebenfalls Initiativen zu erwarten, seitens des Forum Managed Care wird der Slogan „Bessere Medizin“ und der Nachweis einer solchen in den IV-Modellen ins Feld geführt.

Folgende Kritikpunkte werden von den Gegnern des Gesetzesvorschlags angegeben – wobei generell alle Kritiker betonen, dass sie eigentlich die Integrierte Versorgung gut und richtig finden. Ihr Protest richtet sich gegen die Form, wie die Gesetzgebung diese fördern will:

  • Die „Bevormundung“ von Ärzten und Patienten sowie die Ausrichtung auf die Budgetmitverantwortung der Ärztenetze (Kritik aus Teilen der Ärzteschaft)
  • Die Verteuerung der Selbstbeteiligung für die Versicherten außerhalb der Integrierten Versorgung (Kritik aus der SP, den Gewerkschaften und generell den eher linkeren Organisationen)
  • Die Einschränkung der freien Arztwahl für die Versicherten innerhalb der Integrierten Versorgung (Kritik von SP wie Ärzteschaft), u. a. mit dem Slogan „Freie Wahl nur noch für Reiche: Wer sich das nicht leisten kann, hat keine freie Arzt- und Spitalwahl mehr.“
  • Sorge vor falschen Anreizen durch die Budgetmitverantwortung:  Damit würden Risikoselektion und verdeckte Rationierung gefördert und Anreize gesetzt, nur noch die billigsten Untersuchungen und Therapien anzuordnen und den Patienten “teure” Verfahren vorzuenthalten.
  • Sorge vor einer zu starken Macht der Krankenkassen: Zu “teure” Netze könnten ausgebootet und Billigmedizin gefördert werden  (Kritik von SP und Ärzteschaft).
    Vgl. u.a. www.referendum-managedcare.ch oder auch www.nein-zur-mogelpackung.ch

Für das nächste Frühjahr und den Sommer ist eine intensive Debatte um die Zukunft der Gesundheitsversorgung zu erwarten. Wie der Ausgang eines möglichen Referendums aussehen wird, lässt sich noch nicht vorhersagen. Wir werden über den weiteren Verlauf der Schweizer Debatte berichten. Eines zeigte die Reise in die Schweiz allerdings: Der Kritik an den dortigen IV-Modellen wird in einem Modell einer Regionalen Integrierten Voll-Versorgung wie im Kinzigtal gut vorgebeugt: Die Langfristigkeit des Vertrags verhindert kurzzeitige falsche Einsparanreize, die freie Arztwahl bleibt als Qualitätsanreiz voll erhalten und eine mögliche Risikoselektion wird durch die Budgetmitverantwortung für alle Versicherten der Region erfolgreich verhindert.

Die Erfahrungen im Kinzigtal und die Verbindungen von OptiMedis in die USA werden in eine Studie mit einfließen, die für den Sommer geplant ist und die Kampagne „Bessere Medizin“ untermauern soll.

Wer an der Schweizer Diskussion interessiert ist, dem sei die Teilnahme an dem nächsten FMC-Symposium in Zürich am 21. Juni 2012 empfohlen, mehr unter www.fmc.ch.

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