Das Ergebnis zählt!
Die Veranstaltungsreihe für mehr Ergebnisorientierung im Deutschen Gesundheitswesen
2021 haben die B. Braun-Stiftung und OptiMedis gemeinsam die Veranstaltung „Das Ergebnis zählt!“ ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie das deutsche Gesundheitssystem von einer Volume-Orientierung zu einer Value-Orientierung weiterentwickelt werden kann. Gemeinsam mit renommierten Expert:innen wurde dabei der „Berliner Aufruf für mehr Patientennutzen im Gesundheitswesen“ entwickelt.
Etwas über ein Jahr später haben wir uns dann bei der Fortsetzung der Veranstaltung u. a. mit internationalen Gesundheitssystemen beschäftigt, die eine Ergebnisorientierung bereits erfolgreich implementiert haben. Außerdem wurden konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für Deutschland diskutiert und in drei Workshops die Themen Qualitätsverträge, Nutzenbewertung aus Patientensicht sowie die qualitätsorientierte Vergütung mithilfe von Versorgungszielen beleuchtet. Den Veranstaltungsbericht und weitere Infos finden Sie weiter unten.
Die dritte Veranstaltung der Reihe findet am 21. November 2023 in Berlin statt.

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Veranstaltungsbericht Januar 2023
Stellschrauben für eine bessere Gesundheitsversorgung
Seit geraumer Zeit wird im Gesundheitswesen der Begriff Value-based Healthcare – nutzenbasierte Gesundheitsheitsversorgung – heiß diskutiert. Im Kern bedeutet er, dass sich Therapien am individuellen Nutzen und den Bedürfnissen der Patient:innen ausrichten. Dafür müssen die Ergebnisse medizinischer Leistungen zwingend gemessen werden – auch und vor allem aus der Patientenperspektive. Dass die „Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen“ in Deutschland Nachholbedarf hat, zeigte sich bei einer gemeinsamen Veranstaltung der B. Braun-Stiftung und OptiMedis am 17. Januar 2023 in Berlin. Es wurden aber auch Wege hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung aufgezeigt.
Kein anderes Land in Europa steckt mehr Geld in sein Gesundheitssystem als Deutschland. Doch trotz der hohen Kosten ist der Gesundheitszustand der Deutschen bestenfalls EU-Durchschnitt, bei vielen Krankheiten hinken wir unseren Nachbarländern hinterher.[1]
Angesichts dieser Diskrepanz initiierten die B. Braun-Stiftung und die OptiMedis AG im vergangenen Jahr im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung den „Berliner Aufruf für mehr Patientennutzen im Gesundheitswesen“. Gemeinsam mit zahlreichen Expert:innen fordern sie darin, gesundheitliche Versorgungsleistungen sehr viel stärker als bisher hinsichtlich ihres Nutzens für die Patient:innen zu messen und zu bewerten. Am 17. Januar 2023 fand die Folgeveranstaltung zur „Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen“ statt. Wie das deutsche Gesundheitssystem in dieser Hinsicht aufgestellt ist, stand ebenso auf der Agenda wie ein Blick über den Tellerrand auf Gesundheitssysteme anderer Länder. Die Ergebnisse der Vorträge und Diskussionen fließen in ein Thesenpapier ein, das erarbeitet wird und den „Berliner Aufruf“ ergänzen soll.
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Der Patientennutzen im Mittelpunkt

Dr. Konstanze Blatt, Leiterin Fachbereich Befragung am Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)
Dass die Gesundheitsversorgung stärker als bisher am Patientennutzen ausgerichtet werden sollte, konstatierte Dr. Konstanze Blatt, Leiterin Fachbereich Befragung am Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Versorgungsergebnisse würden bislang meist an klinischen Parametern festgemacht. Der Nutzen aus Patientensicht könne jedoch etwas völlig anderes sein als das, was Mediziner als Behandlungserfolg definieren. Brustkrebspatientinnen etwa bewerten ihre Lebensqualität meist schlechter als ihr Hausarzt; offenbar machen ihnen Müdigkeit, Schmerzen und Schlaflosigkeit mehr zu schaffen, als Ärztinnen und Ärzte gemeinhin annehmen.[2] Aufschluss darüber könnten PROMs und PREMs geben. PROM steht für „Patient-reported Outcome Measure“, die Dokumentation des Gesundheitszustandes einer Patientin oder eines Patienten auf Grundlage ihrer oder seiner eigenen Einschätzung. PREMs sind „Patient-reported Experience Measures“, Informationen über die Erfahrungen, die ein Patient im Zusammenhang mit einer Behandlung gemacht hat, beispielsweise mit der Arzt-Patienten-Kommunikation. Insbesondere PROMs ermöglichen Erkenntnisse zu den potenziellen Gesundheitsgewinnen und Risiken einer Behandlung. Sie unterstützen bei Therapieentscheidungen oder können in Behandlungspfade und Leitlinien einfließen. „Deutschland ist in dieser Hinsicht allerdings noch Entwicklungsland“, sagte Konstanze Blatt. Zwar gebe es einzelne Initiativen oder Kliniken, die PROMs und PREMs erheben, eine flächendeckende systematische Erfassung der Patientenperspektive gebe es jedoch noch nicht.
Doch ein Umschwung ist im Gange. Seit kurzem fließen Patientenbefragungen in die externe Qualitätssicherung ein. Die Qualitätssicherungsverfahren (QS-Verfahren), die das IQTIG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses entwickelt, fokussierten bislang auf „Patientensicherheit“ und „Wirksamkeit“ – und zwar ausschließlich aus Sicht der Leistungserbringer. Für einige QS-Verfahren gibt es nun validierte Fragebögen, auf denen die Patient:innen angeben können, wie es ihnen mit der Behandlung geht, ob sie mit Schmerzen, Schlaflosigkeit oder anderen Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Die Entwicklung dieser Fragebögen ist langwierig: Sie durchlaufen einen mehrstufigen Prozess, der aus einer Literaturrecherche, Gruppendiskussionen und Interviews mit Patient:innen besteht. Auch Ärzt:innen, Pflegefachpersonen oder Therapeut:innen werden über Fokusgruppen und Interviews eingebunden. Ein Expertengremium, das sich ebenfalls aus Patient:innen, Angehörigen, den beteiligten Gesundheitsprofessionen und Wissenschaftler:innen zusammensetzt, steht den Fokusgruppen beratend zur Seite. „Das Ganze ist nicht trivial“, unterstrich Konstanze Blatt. „Wenn es das wäre, würden wir das alle mehr machen.“ Immerhin eine Patientenbefragung für das QS-Verfahren Perkutane Koronarintervention (PCI) und Koronarangiographie (QS PCI) ist seit dem 1. Juli 2022 im Regelbetrieb. Weitere Fragebögen sind in der Pipeline.
High Value Care: bessere Versorgung ohne Verschwendung

Marion Grote-Westrick, Senior Project Managerin Programm Gesundheit, Bertelsmann Stiftung
Marion Grote-Westrick, Senior Project Managerin Programm Gesundheit, Bertelsmann Stiftung[/caption]Marion Grote-Westrick, Senior Project Manager im Programm Gesundheit bei der Bertelsmann Stiftung, sprach anschließend darüber, welche Rolle die Ergebnisorientierung für eine hochwertige Gesundheitsversorgung – High Value Care – spielt. High Value Care im weitesten Sinne ziele darauf, die Gesundheit zu verbessern, niemandem zu schaden und verschwenderische Praktiken abzuschaffen – also beispielsweise keine Therapien durchzuführen, die nichts bringen oder gar schaden. Dass dies oft genug passiert, belegte sie unter anderem anhand der „Knieprothesen-Wetterkarte“, einer Versorgungslandkarte zum Kniegelenkersatz. Daraus geht hervor, dass es Landkreise gibt, in denen dreimal häufiger Knieprothesen eingesetzt werden als in anderen – ohne dass dies damit begründet werden könnte, dass die Menschen in den Regionen mit den vielen OPs älter und deshalb öfter auf Gelenkersatzoperation angewiesen sind.
„PROMs könnten auf vielfältige Weise dazu beitragen, High Value Care zu erreichen“, sagte Marion Grote-Westrick. Da sie verdeutlichen, wie es einem Patienten aktuell geht, können sie dabei helfen, die laufende Therapie anzupassen, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu stärken und das Patient Empowerment zu erhöhen. Sie können darüber hinaus für die externe Qualitätssicherung oder die öffentliche Berichterstattung genutzt werden; oder für die Weiterentwicklung von Behandlungspfaden und Leitlinien. Allerdings bedürfe es in Deutschland einer Standardisierung und des dafür erforderlichen politischen Willens, schloss Grote-Westrick, „anderenfalls entsteht ein Flickenteppich verschiedener PROM-Initiativen. Ein flächendeckender Qualitätsvergleich ist damit nicht möglich.“
Blick über den Tellerrand

Dr. Oliver Gröne, stellv. Vorstandsvorsitzender OptiMedis
Dr. Oliver Gröne, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von OptiMedis, schilderte, wo das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich steht. Einerseits schneide Deutschland sehr gut ab: Es gewährt ausnahmslos allen Bürger:innen Zugang zur medizinischen Versorgung, die mit den Leistungen im Allgemeinen auch sehr zufrieden sind. „Bei der Versorgungsqualität hingegen kommen wir aus dem MIttelfeld nicht heraus“, konstatierte Gröne, „und auch im Hinblick auf Prävention haben wir hohen Nachholbedarf.“
Im Ausland gebe es interessante Ansätze für eine stärkere Ergebnisorientierung, etwa das NHS Outcomes Framework, das neben sehr klaren Qualitätsindikatoren auch Ziele für die Ergebnisqualität vorgibt. Außerdem stellte er Pilotprojekte zu alternativen, populationsbasierten Vergütungsmodellen in den Niederlanden vor. Im Projekt Arts en Zorg übernehmen die Hausarztpraxen die Verantwortung für die Gesamtausgaben ihrer Patient:innen. Bereits nach ein bis zwei Jahren habe dies zu geringeren Kosten geführt: Die Ärzt:innen verschreiben weniger Medikamente und vermeiden unnötige Überweisungen – ohne dass ihre Behandlungsergebnisse darunter gelitten hätten. In einem weiteren Projekt, dem Bernhoven & Beatrix Pilot, haben zwei Krankenhäuser mit den wichtigsten Krankenversicherungsgesellschaften fünfjährige Verträge mit pauschalen Beauftragungssummen abgeschlossen. Auf diese Weise sind Mengenanreize entfallen, die Krankenhäuser haben mehr finanzielle Freiheit und können sich auf die Qualität der Behandlung fokussieren. In beiden Krankenhäusern zeigte sich nach fünf Jahren, dass sowohl insgesamt weniger Behandlungen als auch weniger intensive Behandlungen durchgeführt wurden als in vergleichbaren Krankenhäusern. Unerwünschte Effekte, beispielsweise eine Verlagerung der Patienten in andere Krankenhäuser, seien ausgeblieben. Was heißt das für Deutschland? „Mehr Geld ins System zu pumpen, kann nicht die Lösung sein“, schloss Gröne seinen Vortrag. „Wir brauchen eine Debatte über die Ergebnisse, die wir anstreben, und über alternative Vergütungsmodelle.“
An die Impulsvorträge schlossen sich drei Workshops an, in denen die Teilnehmer:innen anhand von Umsetzungsbeispielen diskutierten, wo Ergebnisorientierung in Deutschland bereits gelebt wird.
Workshop 1: Qualitätsverträge als Instrument der Ergebnisorientierung

Martin Spegel, Leiter Ausgabensteuerung SBK Siemens-Betriebskrankenkasse
Martin Spegel, Leiter Ausgabensteuerung bei der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), leitete den Workshop „Qualitätsverträge als Instrument der Ergebnisorientierung: Potenziale und Herausforderungen“. Er führte zunächst in die Thematik ein. Der Gesetzgeber eröffnete Krankenhäusern und Krankenkassen 2017 mit dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) die Möglichkeit, in bestimmten Leistungsbereichen Qualitätsverträge zu schließen. Bis 2025 will er damit erproben, ob sich die Versorgung verbessert, wenn bessere Qualität extra vergütet wird. Die Verträge müssen evaluiert werden – entweder von den Vertragspartnern selbst oder vom IQTIG, das dann auch die Qualitätskriterien festlegt.
Qualitätsverträge sind immer Einzelverträge, müssen aber für weitere Krankenkassen offen sein, damit Versicherte anderer Kassen ebenfalls die Chance haben, im Rahmen von Qualitätsverträgen behandelt zu werden. Die SBK habe eigene Verträge zur Beatmungsentwöhnung, in der Endoprothetik und zur Delirprävention, erläuterte Martin Spegel. Im Rahmen ihres Endoprothetik-Vertrages würden so gute Ergebnisse erzielt, dass er möglicherweise die Basis für die Kalkulation einer neuen Fallpauschale für die Fast-Track-Chirurgie beim Gelenkersatz sein wird.
In der anschließenden Diskussion kam zur Sprache, dass Qualitätsverträge insgesamt nicht besonders weit verbreitet sind. Das könnte daran liegen, dass der Aufwand für die Kassen hoch ist, ohne dass sich dies finanziell für sie lohnt. Allerdings sind sie seit 2021 durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz dazu verpflichtet sind, 30 Cent pro Versichertem pro Jahr für Qualitätsverträge auszugeben. Bleiben sie darunter, müssen sie die Differenz in die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds einzahlen.
Die Teilnehmer:innen überlegten dann gemeinsam, wie Qualitätsverträgen zu mehr Durchschlagskraft verholfen werden könnte. Eine Idee war, dass sich die Kliniken mit Qualitätsverträgen untereinander vernetzen sollten, um so Druck auf andere Krankenkassen auszuüben, dem Vertrag beizutreten. Außerdem müsse der Gesetzgeber einen Mechanismus installieren, wie Leistungen aus Qualitätsverträgen, die sich bewährt haben, in die Regelversorgung überführt werden könnten.
Workshop 2 : Qualitätsorientierte Vergütung: Versorgungsziele entwickeln, komplexe Interventionen evaluieren

Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer, Seniorprofessor für Versorgungsforschung an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, leitete den Workshop zum Thema qualitätsorientierte Vergütung
Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer, Seniorprofessor für Versorgungsforschung an der Medizinischen Hochschule Brandenburg, leitete den Workshop „Qualitätsorientierte Vergütung: Entwicklung von Versorgungszielen & Evaluierung komplexer Interventionen“. Aus seiner Sicht fehlt es dem deutschen Gesundheitssystem an Mechanismen, sich von innen heraus selbst zu erneuern: Einige Stakeholder seien in ihre gesetzlichen Aufträge eingebunden, sodass sie es nicht ändern könnten; andere wiederum würden das gar nicht erst wollen, weil sie von Partikularinteressen geleitet sind. Gleichzeitig hätten Bürger:innen derzeit weder die Macht noch wirksame Methoden, sich in die Gestaltung einzubringen.
Neugebauer hält es deshalb für notwendig, das fünfte Sozialgesetzbuch „neu zu schreiben“. Es müsse die integrierte Versorgung in den Mittelpunkt stellen, Patienteninteressen Leitbild sein. Besonders wichtig ist es in seinen Augen, „Nationale Versorgungsziele“ festzulegen – ein Thema, über das die Teilnehmer:innen intensiv diskutierten. Insbesondere müsse geklärt werden, wie diese Versorgungsziele umgesetzt werden könnten. Methodische Parallelen wurden zu den Core Outcome Sets (COS) der Comet Initiative in den USA gezogen. Zur Debatte stand auch, ob zuerst Versorgungsziele definiert werden sollten, an die sich das System dann anpasst; oder ob zunächst das System bestimmt werden muss (wie beispielsweise in Gesundheitsregionen), für das dann bestimmte Versorgungsziele gelten. Professor Lutz Hager von der SRH Fernhochschule – The Mobile University merkte an, dass der Begriff „Ziel“ im Zusammenhang mit der Bevölkerungsgesundheit unpassend sei; er schlug stattdessen „Potenzial“ vor.
Als generelle Treiber für eine Umgestaltung des Gesundheitswesens machten die Teilnehmer:innen aus: finanzielle Anreize über Integrierte Versorgungs- oder Qualitätsverträge; die Möglichkeit für Organisationen, „bottom up“ und flexibel regionale Versorgungsziele zu verfolgen; sowie ein Public Reporting hinsichtlich der Zielereichung. Barrieren seien die Resistenz einiger Protagonisten gegen Veränderungen, die Mechanismen der Selbstverwaltung sowie der Wunsch nach Beitragsstabilität seitens der Krankenkassen.
Die systematische Einbindung von Patient:innen bzw. Bürger:innen in die Ausrichtung dieser Versorgungsziele betrachteten einige Teilnehmer:innen als notweding, aber schwierig. Prof. Dr. Dr. Neugebauer verwies jedoch auf das Projekt „Neustart für Gesundheit“ der Robert Bosch Stiftung, bei dem Expert:innen gemeinsam mit Bürger:innen Reformvorschläge für das Gesundheitssystem erarbeitet haben. Außerdem könne das geplante Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit den Prozess effizient moderieren.
Workshop 3: Nutzenbewertung aus Patientensicht

Dr. Valerie Kirchberger, Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical, leitete den Workshop zum Thema Nutzenbewertung aus Patientensicht.
Dr. Valerie Kirchberger, Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical, leitete den Workshop zum Thema Nutzenbewertung aus Patientensicht.[/caption]Es sei wichtig, PROMs zu erheben, um Einblicke in das subjektive Erleben von Patient:innen über den Zeitverlauf zu erhalten, betonte Dr. Valerie Kirchberger, Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical, in ihrer Einführung zum Workshop „Nutzenbewertung aus Patientensicht“. Mit der Datenerhebung gehe jedoch auch die moralische Verpflichtung einher, sie zu nutzen.
Wofür, das war Thema der angeregten Diskussion: als Werkzeug in der Routinevorsorge, als Bestandteil eines lernenden Gesundheitssystems oder auch, um die Sinnkrise bei den Gesundheitsfachkräften zu lösen. Als Beispiele wurden die Martini-Klinik oder die Babylotsen in Berlin genannt. Dabei wurde allerdings auch deutlich, dass PROMs bislang Ausnahmeerscheinungen in Deutschland sind und ihr Potenzial für Shared Decision Making, ergebnisorientierte Vergütung und öffentliche Berichterstattung bislang kaum ausgeschöpft wird. Dabei sei die Bereitschaft der Patient:innen hoch, ihre Daten zu teilen – sofern sie erkennen, was sie davon haben. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen könnte ein wichtiger Treiber für PROMs werden. „In Deutschland treten wir diesbezüglich noch auf der Stelle“, sagte Alexander Rinnert von BSF Finance. „Digitalisierung muss ein Selbstzweck sein. Wenn wir das schaffen, haben wir eine völlig neue Kooperationskultur und können endlich anfangen, Ergebnisdaten in die Gesundheitsplanung miteinzubeziehen.“
„Never miss a good crisis“

Von Dr. Oliver Gröne (OptiMedis) moderierte Paneldiskussion mit Dr. Valerie Kirchberger (Heartbeat Medical), Dr. Thomas Lipp (Delegierter der Sächsischen Landesärztekammer) und Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer (Medizinische Hochschule Brandenburg), Dr. Benedikt Simon (Asklepios Kliniken), Martin Spegel (Siemens-Betriebskrankenkasse).
In der abschließenden Paneldiskussion, die Dr. Oliver Gröne moderierte, saßen neben den Workshop-Leiter:innen Dr. Valerie Kirchberger, Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer und Martin Spegel noch Dr. Thomas Lipp, Delegierter der Sächsischen Landesärztekammer und Dr. Benedikt Simon, Chief Officer Integrated and Digital Care bei der Asklepios Kliniken Gruppe, auf dem Podium. Prof. Dr. Dr. Neugebauer betonte, dass das 40 Jahre alte SGB V den neuen Strukturen und Anforderungen des Gesundheitswesens nicht gerecht werde. „Wir müssen aus der Selbstverwaltung, in der jeder Akteur seine eigene Agenda verfolgt, eine Selbstorganisation machen, die eine echte Beteiligung der Patient:innen ermöglicht.“ Dr. Valerie Kirchberger stellte fest: „Wir haben kein Erkenntnis – oder Technik-Problem, wir haben ein Kulturproblem. Wir müssen endlich anfangen, unser Wissen umzusetzen – nur so können wir die Versorgung verbessern und dabei Ressourcen schonen.“ Auch Martin Spegel forderte eine stärkere Patientenzentriertheit: „Wir müssen uns auf die Bedürfnisse der Patient:innen besinnen. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis, was Ergebnisqualität ist, und wir müssen kooperativ im Sinne der Patient:innen handeln.“ Dr. Thomas Lipp zeigte sich bezüglich der Worte seiner Vorredner:innen skeptisch: „Wir haben vor 30 Jahren schon über die gleichen Fragen diskutiert, und im Wesentlichen hat sich nichts geändert.“ Als eine wesentliche Barriere benannte er die Misstrauenskultur im Gesundheitswesen. Es sei fast schon beschämend, wie wenig von der Selbstverwaltung in den vergangenen Jahren bewegt worden sei, räumte Martin Spegel ein. Dr. Valerie Kirchberger jedoch versprühte Aufbruchsstimmung: Vor zehn Jahren seien die Fronten wesentlich härter gewesen; im Rahmen von Qualitätsverträgen kämen mittlerweile Krankenhäuser und Krankenkassen an einen Tisch und würden gemeinsam nach kreativen Lösungen suchen.
Dr. Benedikt Simon unterstrich die Bedeutung neuer Vergütungsformen: „Wir brauchen neue Anreizmechanismen, denn solange sich die Vergütung am Volumen orientiert, wird sich nichts ändern.“ Würde nicht nach Fallzahl, sondern nach Qualität bezahlt, könnten 20 Prozent der Krankenhausbetten sofort gestrichen werden. Gleiches gelte für den ambulanten Bereich, fügte Dr. Lipp hinzu. Viele Patient:innen müssten vierteljährlich in die Praxis einbestellt werden, ohne dass dies erforderlich sei. „Ich würde sie lieber weniger häufig sehen und dafür mehr Zeit für sie haben – das bezahlt mir aber keiner“, beklagte der Allgemeinmediziner.
In diesem Zusammenhang kam die Sprache auch auf die Themen Patient Empowerment und Prävention. Einigkeit herrschte, dass die Gesundheitskompetenz der Menschen gesteigert werden müsse. Auch dazu könnten PROMs beitragen, weil sie die Arzt-Patienten-Kommunikation stärken.
Alles in allem hätten die Diskutant:innen sicher noch lange reden können. Eins wurde klar: Es ist viel zu tun. Doch nach der Coronapandemie, mitten in der Energiekrise und angesichts des Fachkräftemangels bleibt nichts anderes übrig, als die Dinge in Angriff zu nehmen. Dr. Valerie Kirchberger brachte es auf den Punkt: „Never miss a good crisis.“
Text: Jana Ehrhardt-Joswig I Bilder: Regina Sablotny
[1] OECD: Health at a Glance: Europe 2022 – State of Health in the EU Cycle
[2] Eon Sook Lee et al (2011): Health-related quality of life in survivors with breast cancer 1 year after diagnosis compared with the general population: a prospective cohort study, in: Annals of Surgery
Fotos: Regina Sablotny
Die Veranstalter
Die B. Braun-Stiftung hat sich der Verbesserung der Gesundheitsversorgung verschrieben. Seit Jahren begleitet sie unter anderem die Diskussionen über Methoden und Prozesse der Nutzenbewertung in der Medizintechnik mit einem eigenen Veranstaltungsformat. Dies setzt sich nun mit einer Veranstaltungsreihe zur Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen fort – gemeinsam mit OptiMedis, einem Unternehmen für Management, Forschung und Analytik im Gesundheitswesen. OptiMedis entwickelt seit vielen Jahren evidenzbasierte Strukturen und Interventionen für eine patientenorientierte und sektorenübergreifende Versorgung – immer mit Blick auf den Outcome, also auf die Messung und Bewertung von Leistungen hinsichtlich ihres Nutzens für die Bevölkerung.
Dokumentation „Das Ergebnis Zählt“
Januar 2023
Die Veranstaltung hat in Präsenz stattgefunden.
Hier geht es zum Veranstaltungsbericht (PDF), zum Programm und zur Pressemitteilung.
Vorträge der Referent:innen
Impulsvorträge
- Dr. Konstanze Blatt (Leiterin Fachbereich Befragung am Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen – IQTIG)
„Ergebnisorientierung im deutschen Gesundheitssystem: Wo stehen wir und welche Rolle spielt die Perspektive der Patient:innen?“ - Marion Grote-Westrick (Senior Project Managerin Programm Gesundheit Bertelsmann Stiftung)
„High Value Care: Welche Rolle spielt die Ergebnisorientierung für eine hochwertige Gesundheitsversorgung“ - Dr. Oliver Gröne (stellv. Vorstandsvorsitzender OptiMedis)
„Der Blick über den Tellerrand: Wie wird Ergebnisorientierung in anderen Gesundheitssystemen (z. B. in UK, Schweden, US & Australien) umgesetzt?“
Input-Referate Workshops
- Martin Spegel (Leiter Ausgabensteuerung SBK Siemens-Betriebskrankenkasse)
„Qualitätsverträge als Instrument der Ergebnisorientierung: Potenziale und Herausforderungen“ - Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer, Seniorprofessor für Versorgungsforschung an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
„Qualitätsorientierte Vergütung: Entwicklung von Versorgungszielen & Evaluierung komplexer Interventionen“ - Dr. Valerie Kirchberger (Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical)
„Nutzenbewertung aus Patientensicht: Was für Ergebnisdaten können erhoben werden, wie können sie genutzt werden?“
Oktober 2021
Den Mitschnitt der hybriden Veranstaltung finden Sie auf Youtube.
Hier geht es zum Veranstaltungsbericht (PDF), zum Programm und zur Pressemitteilung.
Vorträge der Referent:innen
- Prof. Dr. rer. pol. Andreas Beivers, Professor für Volkswirtschaftslehre und Studiendekan für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius in München, Leitung wissenschaftliche Projekte Stiftung Münch
„Wie verändern Vergütungssysteme, die auf Ergebnismessung beruhen, die Orientierung von Leistungserbringern? Regionalbudgets statt DRG und Einzelleistungsvergütung“ - Prof. Dr. h.c. Christel Bienstein, Pflegewissenschaftlerin Universität Witten-Herdecke, Präsidentin DBfK / Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko, Lehrstuhl für Management und Innovation im Gesundheitswesen, Universität Witten/Herdecke
„Die Senkung der Anzahl vermeidbarer Krankenhausfälle als Ergebnis von Pflegequalität“ - Anja Burmann, Digitalization in HealthCare Wissenschaftlerin Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST
„IT Anforderungen für Population Health Management und Measurement“ - Prof. Dr. med. Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin
„Von einem „volume“- hin zu einem „value“-basierten Gesundheitssystem – eine internationale Perspektive - Irina Cichon, Senior Projektmanagerin Themenbereich Gesundheit, Robert Bosch Stiftung, Projektleiterin „Neustart!“
„Anforderungen von Bürgerinnen / Patientinnen an Ergebnisse des Gesundheitssystems. Erfahrungen aus der Neustart!-Initiative“ - Dr. Oliver Gröne, stellv. Vorstandsvorsitzender OptiMedis
„Nothing about me without me – Patient Reported Experiences (PREMs) und Patient Reported Outcomes (PROMs)“ - Dr. Cornelia Henschke, Leiterin Projektbereich Gesundheitsökonomie des Fachgebietes Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin
„Der Umgang mit (innovativen) Technologien in einem „value“-basierten Gesundheitssystem?“ - Dr. h.c. Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender OptiMedis
„Optionen für einen Vergleich von Krankenkassen nach Outcome“ - Dr. Detlef Loppow, Geschäftsführer Martini-Klinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
„Ergebnisse zählen: Erfahrungen mit Value Based Health Care in der Umsetzung durch die Martini-Klinik in Hamburg“ - Thomas Müller, stellv. Geschäftsführer, Geschäftsführungseinheit Markt/Produkte, AOK-Bundesverband
„Servicequalität und Transparenzanforderungen an Krankenkassen“ - Dr. Benedikt Simon, Harkness Fellowship in Health Care Policy and Practice des Commonwealth-Fund
„Verhältnis von Qualitätsverbesserung und Cost-Savings in Integrated Systems (Erfahrungen mit „Alternative Payment Systems“ in den USA)“