Das Ergebnis zählt!

Das Ergebnis zählt!

Die Veranstaltungsreihe für mehr Ergebnisorientierung im Deutschen Gesundheitswesen

Die Tagung FüR mehr Ergebnis-orientierung im  Gesundheits-wesen

2021 haben die B. Braun-Stiftung und OptiMedis gemeinsam die Veranstaltung „Das Ergebnis zählt!“ ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie das deutsche Gesundheitssystem von einer Volume-Orientierung zu einer Value-Orientierung weiterentwickelt werden kann. Gemeinsam mit renommierten Expert:innen Gesundheitswesen, der Politik und der Wissenschaft wurde dabei der „Berliner Aufruf für mehr Patientennutzen im Gesundheitswesen“ entwickelt.

Etwas über ein Jahr später haben wir uns dann bei der Fortsetzung der Veranstaltung u. a. mit internationalen Gesundheitssystemen beschäftigt, die eine Ergebnisorientierung bereits erfolgreich  implementiert haben. Außerdem wurden konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für Deutschland diskutiert und in drei Workshops die Themen Qualitätsverträge, Nutzenbewertung aus Patientensicht sowie die qualitätsorientierte Vergütung mithilfe von Versorgungszielen beleuchtet.

Schwerpunkt der dritten Tagung im November 2023 war der Blick auf Sektoren, in denen man sich schon länger mit der Messung von Ergebnissen beschäftigt. Im Fokus standen Klima- sowie Bevölkerungsforschung und das Bildungswesen.

Die Dokumentation zu allen Tagungen finden Sie weiter unten.

SAVE THE DATE – Die 4. Tagung findet am  17. September 2024 in Berlin statt!

Wir freuen uns auf Sie!

Veranstaltungsbericht November 2023

KLIMAFORSCHUNG UND BILDUNG MACHEN ES VOR: REFORMEN BRAUCHEN EINE SOLIDE WISSENSBASIS

Zum dritten Mal in Folge fand am 21. November in Berlin die Tagung „Das Ergebnis zählt!“ statt, organisiert von der B. Braun-Stiftung und OptiMedis. Ziel der Veranstaltungsreihe ist es, die Ergebnisorientierung in Deutschlands Gesundheitswesen gemeinsam voranzutreiben. Schwerpunkt war dieses Mal der Blick auf andere Sektoren. Im Fokus standen Klimaforschung und Bildungswesen. Beide beschäftigen sich schon länger mit der Messung von Ergebnissen. Zwei wichtige Botschaften konnten die Teilnehmer:innen mit nach Hause nehmen: Klimaschutz ist auch Gesundheitsschutz. Und: Wer Verbesserungen erreichen will, muss Ergebnisse messen und für eine gute Wissensbasis sorgen.

„PISA hat gezeigt, dass eine klare Ergebnismessung möglich ist“, sagt Prof. Dr. Oliver Gröne, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von OptiMedis. „Es war allerdings nötig, sinnvolle und funktionierende Methoden zu entwickeln und Politik, Wissenschaft und die Öffentlichkeit eng in die Kommunikation einzubeziehen. Das brauchen wir auch für das Gesundheitswesen, und teilweise gibt es diese Methoden sogar schon.“ Dr. Thilo Brinkmann, Geschäftsführer der B. Braun-Stiftung, ergänzt, es reiche nicht aus, Ergebnisse nur zu messen. „Es muss klar nachvollziehbar sein, welche Maßnahmen und Tätigkeiten zu genau diesen Ergebnissen geführt haben, und was daraus für die zukünftige Gestaltung von Handlungsabläufen und Therapien abgeleitet werden kann.“ Auch im Klimabereich gebe es gute Beispiele für Ergebnisorientierung, fügt Gröne hinzu: „Der NHS hat es vorgemacht, bis 2040 soll das Gesundheitssystem klimaneutral werden. Dazu gehören neben der Gebäudesanierung auch die Verbesserung von Versorgungsprozessen und -strukturen und natürlich auch Ergebnisindikatoren, die eine Messung ermöglichen.“ Anpassungen könnten sowohl den Patienten zugutekommen als auch dem Klima. Als Beispiel nennt Gröne die Vermeidbarkeit von Krankenhauseinweisungen, denn neben dem Patientennutzen und besserer Wirtschaftlichkeit gebe es hier ein enormes Potenzial zur Reduktion von CO2-Emissionen.

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Vor diesem Hintergrund stellten die B. Braun-Stiftung und OptiMedis die Themen Klima und Bildung in den Fokus der mittlerweile dritten Tagung ihrer gemeinsamen Veranstaltungsreihe „Das Ergebnis zählt!“. Am 21. November 2023 gab ein hochkarätig besetztes Plenum einen Überblick, was Ergebnismessung im Klimaschutz und im Bildungsbereich bereits bewirkt hat und was das für die anstehende Gesundheitsreform bedeutet.

Durch das Vormittagsprogramm führte Dr. Valerie Kirchberger. Als Geschäftsführerin bei Heartbeat Medical ist sie auf Patient Reported Outcome Measurement (PROM) spezialisiert – die Dokumentation des Gesundheitszustandes eines Patienten auf Grundlage seiner eigenen Einschätzung.

CO2-FUSSABDRUCK MUSS KLEINER WERDEN – AUCH UND GERADE DES GESUNDHEITSSEKTOR

Den Auftakt machte Prof. Gröne mit einem Vortrag über „Klimaschutz und -anpassung im Gesundheitswesen.“ Um die gesetzten Klimaziele zu erreichen, müssen alle Branchen – auch das Gesundheitswesen – ihren CO2-Fußabdruck massiv verringern. Das Potenzial dafür sei groß: „Wäre das globale Gesundheitswesen ein Land, wäre es nach China, den USA, Indien und Russland der fünftgrößte Emittent von Treibhausgasen“, sagte Prof. Gröne (1). Einsparmöglichkeiten schlummern vor allem in der Lieferkette: 71 Prozent der Emissionen einer Gesundheitseinrichtung entfallen auf Herstellung, Transport und Entsorgung von Gütern und Dienstleistungen. Um große Einsparziele zu erreichen, komme es auch auf vermeintlich kleine Schritte an, sagte Prof. Gröne: Schon die Reduktion spezifischer Narkosegase – beispielsweise von Desfluran (2.540 kg CO2/kg – bei 8 Stunden Anwendung entsprechend den Emissionen von 7000km im PKW) – senke die Treibhausgas-Emissionen erheblich. „Niedrigere Emissionen gehen dabei nicht zulasten der Ergebnisqualität“, stellte Prof. Gröne fest. Zwar haben Forschende einen Zusammenhang zwischen dem Ausstoß von CO2-äquivalenten (CO2e) Gasen und der Qualität der Versorgung festgestellt – allerdings nur bis zum dem Punkt, an dem sich die Emissionen auf 400 kg CO2e pro Person belaufen. Danach erreichen verschiedene Länder trotz eines sehr unterschiedlichen Treibhausgasausstoßes ähnlich hohe Qualitätsniveaus in der Versorgung. So schneiden beispielsweise Frankreich und die USA in Sachen Gesundheitsqualität ähnlich gut ab – die CO2e-Emmissionen sind in Frankreich jedoch wesentlich geringer als in den USA (2). Dies liegt besonders an einer weniger krankenhauslastigen Versorgung und einer höheren Rolle von Prävention: Die Vermeidung von Krankheiten bzw. von Krankheitsprogression ist daher nicht nur gut für die Gesundheitsergebnisse der Patient:innen, sondern auch für den Klimaabdruck des Gesundheitssystems.

SCHULLEISTUNGSSTUDIEN IN DEUTSCHLAND

Nächste Vortragende war Prof. em. Dr Kristina Reiss. Ihr Thema: Schulleistungsstudien in Deutschland. Prof. Reiss hatte bis 2021 den Heinz-Nixdorf-Stiftungslehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der School of Education der Technischen Universität München (TUM) inne und war Dekanin dieser Fakultät. Daneben leitete sie die PISA-Studien in Deutschland. PISA, das Programme for International Student Assessment der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), will die Kompetenzen 15-jähriger Schüler:innen bestimmen. Ihre ermittelten Stärken und Schwächen sollen Rückschlüsse auf den Zustand des Bildungssystems sowie einen internationalen Ländervergleich ermöglichen. Die deutschen PISA-Ergebnisse lösten in der Vergangenheit eine regelrechte Schockwelle aus. So titelte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Sind deutsche Schüler doof?“ – so schlecht hatten die deutschen Schüler:innen bei PISA 2000 abgeschnitten; beim Lesen bildeten sie gar das Schlusslicht. Daraufhin ergriff die Bundesregierung zahlreiche Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung, etwa bei der Ausbildung der Lehrer:innen oder durch eine gezielte und frühe Sprachförderung. An der Humboldt-Universität zu Berlin wurde das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen gegründet, an der TUM entstand das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB). Seit 2007 kooperieren das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Kultusministerkonferenz bei der „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich“, eine Steuerungsgruppe mit Vertreter:innen von Bund und Ländern und einem wissenschaftlichen Beirat tagt regelmäßig.

Aktueller Hinweis der Redaktion zum Thema: Die Publikation der PISA-Studie 2022 am 5. Dezember 2023 zeigt, dass Deutschlands 15-jährige Schüler:innen so schlecht abgeschnitten haben wie noch nie. Analog zum Gesundheitssystem hängen dabei die Ergebnisse immer stärker ab vom sozialen Status.

„PISA-SCHOCK“ IM GESUNDHEITSSYSTEM

So etwas wie den „PISA-Schock“ erlebt auch das deutsche Gesundheitssystem: So ist die Bundesrepublik im Hinblick auf die Lebenserwartung schon seit längerem Nachzügler – obwohl Deutschland weltweit zu den Ländern mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheitsversorgung zählt, ein hoch entwickeltes und gerechtes Gesundheitssystem hat und eine vergleichsweise starke Wirtschaft aufweist. Über „Lebenslängen als Ergebnis“ sprach Dr. Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Die Lebenserwartung deutscher Männer falle mit 78,8 Jahren fast drei Jahre geringer aus als im weltweit höchstplatzierten Land Schweiz. Deutsche Frauen leben durchschnittlich 83,5 Jahre – vier Jahre weniger im Vergleich zum Spitzenreiter Japan. Das macht Platz 14 von 15 bei den Männern und Platz 13 bei den Frauen. „Diese niedrige Lebenserwartung weist auf Ineffizienzen im Gesundheitssystem hin“, sagte Dr. Klüsener (3). Todesursache Nummer eins seien nach wie vor Herz-Kreislauferkrankungen. Der Humangeograph stellte außerdem dar, dass 19 Prozent der Sterbefälle in Deutschland vermeidbar wären (4). Als vermeidbar gelten Sterbefälle, wenn sie durch eine angemessene Prävention, Früherkennung und Therapie vermieden werden könnten. Am häufigsten sterben Menschen einen vermeidbaren Tod im Norden und in der Mitte Deutschlands. Verbesserungsbedarf gebe es bei der Prävention, um gesundheitsschädigendes Verhalten wie Rauchen oder Alkoholmissbrauch wirkungsvoller einzudämmen. Auch bei der Früherkennung hinke Deutschland hinterher. Viele Behandlungen setzen erst an, wenn Erkrankungen schon stark fortgeschritten sind.

DAMIT DER „VORHER-NACHHER-EFFEKT“ EIN WOW-EFFEKT WIRD

Den Abschluss-Impuls des Vormittags gab Frederike Gramm, selbstständig im Bereich Gesundheitskommunikation und ehemalige Vorständin von Hashtag Gesundheit, einem Verein von Berufseinsteiger:innen und Studierenden aus dem Gesundheitswesen. Sie sprach über „How to Public Health: Der Vorher-Nachher-Effekt“. Um ihr Fazit vorwegzunehmen: Auch in der öffentlichen Gesundheit, die darauf abziele, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und zu verbessern, müssen Ergebnisse gemessen werden: vor und nach den Maßnahmen, die die Verbesserung erreichen sollen. Nur so könne man sehen, ob die Maßnahmen das gewünschte Ergebnis auch gebracht haben. Bei ihrer Entwicklung empfehle es sich, auf Werkzeuge aus dem Marketing zurückzugreifen: Dort helfen die „Persona“ und die „Customer Journey“ bei Zielgruppendefinition und Maßnahmenplanung. Die „Persona“ ist eine fiktive, aber detailliert beschriebene Figur, die die Zielgruppe repräsentiert. Die „Customer Journey“ ist der Pfad, auf dem die „Persona“ mit der Maßnahme in Berührung kommt.

VOM BILDUNGSSYSTEM LERNEN

Anschließend ließen die Vortragenden auf dem Podium den Vormittag gemeinsam Revue passieren. „Was muss passieren, damit angesichts der Ergebnisse genauso ein Ruck durch die Gesundheitsminister:innen der Länder geht wie durch die Kultusminister:innenkonferenz?“, wollte Moderatorin Dr. Valerie Kirchberger wissen. Prof. Reiss verwies auf die intensive Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit den PISA-Studien. Die Medienberichterstattung habe viel zum Änderungswillen seitens der Politik beigetragen. „Sie müssen dranbleiben“, empfahl die Bildungsforscherin, „Sie müssen Journalist:innen auf dem Laufenden halten, damit diese die Öffentlichkeit gut informieren können. Und Sie müssen die Politiker:innen auf die Arbeitsebene mitnehmen.“ Wie wichtig gute Information und Bildung sind, unterstrich BiB-Forschungsdirektor Dr. Klüsener. Dass immer noch viele Menschen einen Herztod sterben, liege auch an mangelndem Gesundheitswissen. Zudem seien die vermeidbaren Sterbefälle ein Ausdruck dafür, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen keine Lobby haben. Es gebe sehr deutliche Schnittstellen zum Bildungssektor: Je höher der Schulabschluss, umso höher ist auch die Lebenserwartung. Den Einwand aus dem Auditorium, dass für eine umfassende Ergebnismessung nicht genügend Daten vorliegen, wollte keiner der Panel-Teilnehmer:innen gelten lassen. Prof. Gröne wies darauf hin, dass Versorgungsdaten in großer Menge vorhanden seien. Dass sie noch nicht ausreichend in die Qualitätsbewertung medizinischer Leistungen einfließen, liege auch an der noch immer unzureichenden Digitalisierung. Insgesamt 18 Länder der OECD beteiligten sich aktuell an eine Vergleichsstudie, die die Gesundheitssysteme aus Patientensicht anhand von PREMs und PROMs beurteilen würden. Die OECD würde damit in Analogie zu der PISA-Studie jetzt mit einer PaRIS-Studie (Patient Reported Indicator Survey) eine Vergleichsmöglichkeit schaffen; OptiMedis ist Teil des internationalen Konsortiums, das die Methode und die Fragebögen für die PaRIS-Studie entwickelt hat. Prof. Gröne bedauerte, dass die deutsche Regierung sich bisher nicht zu einer Beteiligung hat durchringen können, gab aber der Hoffnung Ausdruck, dass dies in der zweiten Runde dann erfolgen wird. Prof Reiss ergänzte, dass Deutschlands Beteiligung an internationalen Vergleichsstudien zu Bildungsergebnissen auch viele Jahre dauerte.

ERGEBNISORIENTIERUNG BEI DER KRANKENHAUSREFORM

Nachmittags drehte sich die Veranstaltung um die anstehende Krankenhausreform. Prof. Dr. Tom Bschor, Leiter und Koordinator der Regierungskommission Krankenhausversorgung, erläuterte die Rolle, die Ergebnisorientierung dabei spielt. Damit knüpfte er im Grunde nahtlos an seine Vorredner:innen an: Die Reform sei notwendig, da die Ergebnisse der Gesundheitsversorgung nicht den hohen Kosten entsprechen, die sie verursachen. Problematisch sei außerdem die hohe Krankenhausdichte. Laut GKV-Spitzenverband gibt es ca. 1.730 Standorte in Deutschland. Viele davon haben weniger als 300 Betten (5). „Kleine Krankenhäuser haben es schwer“, konstatierte Prof. Bschor. So seien heutzutage viele Patient:innen multimorbide und profitierten von Krankenhäusern mit vielen Abteilungen. Außerdem mache auch in der Medizin Übung den Meister: Je öfter ein Krankenhaus eine bestimmte Leistung erbringe, umso besser seien die Ergebnisse. So steige die Überlebenswahrscheinlichkeit bei Krebspatient:innen, wenn sie in einem zertifizierten Zentrum behandelt werden. Ähnlich sehe es bei der Schlaganfallbehandlung aus: 5.000 Sterbefälle pro Jahr wären vermeidbar, wenn alle Patient:innen in einer Stroke Unit behandelt würden (6). Auch in wirtschaftlicher Hinsicht laufen größere Häuser besser; die optimale Betriebsgröße liege bei 600 bis 900 Betten (7). In Anbetracht des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels stünde immer weniger Personal für immer mehr Patient:innen zur Verfügung.

Prof. Bschor erläuterte dann die Kernbestandteile der Reform: Die Planung der Kliniken anhand der Versorgungsstufen (Level I, II und III) seien vom Tisch. Doch bei den Leistungsgruppen und den Vorhaltekosten seien sich Bund und Länder einig. Hier kommt wieder die Ergebnisorientierung ins Spiel: Denn abhängig von der Leistungsgruppe sollen Kriterien der Prozess- und Ergebnisqualität die Höhe der Vorhaltebudgets bestimmen und damit gute Qualität fördern. Der Leitgedanke der Reform, so Prof. Bschor, sollte Value-based healthcare sein – die Ausrichtung am Patient:innennutzen. „Die Ergebnisqualitat dabei zum Maßstab zu nehmen, das wäre das Optimum. Die Chance dafür ist da.“ Nun komme es darauf an, die Reformideen nicht zu verwässern.

WIE KRANKENHÄUSER ZU „HÄUSERN FÜR GESUNDE“ WERDEN

Die anschließende Paneldiskussion unter der Moderation von Prof. Gröne drehte sich darum, wie die Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen vorangetrieben werden kann. Timm Berg von Hashtag Gesundheit plädierte für eine intensivere interprofessionelle Zusammenarbeit. Würden die verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus stärker Hand in Hand arbeiten, könnten Synergien gehoben und gleichzeitig die Berufe wieder attraktiver werden. Melanie Moersig, Operations Managerin bei der TAM Akademie und Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Berliner Charité, stieß ins selbe Horn: Die Unternehmenskultur lasse vielerorts zu wünschen übrig, die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen sei mangelhaft, so komme es zu unnötigen Doppeluntersuchungen. Insgesamt müsse der Umgang miteinander wertschätzender werden: „Mitarbeitende sind das höchste Gut, nicht die Kund:innen. Mit dieser Einstellung erzielt man die besten Ergebnisse.“ Dr. h. c. Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender der OptiMedis AG, schilderte seine Verwunderung darüber, dass Ergebnismessung im Krankenhaus noch immer eine untergeordnete Rolle spiele – die Instrumente dafür stünden längst zur Verfügung. Er plädierte außerdem für sektorenübergreifende Regionalbudgets, die den gesamten Behandlungspfad abdecken. Erst die Qualität der gesamten Behandlungskette – von ambulant über stationär und Pflege bis zur Rehabilitation – stelle den richtigen Maßstab für die Betroffenen und nicht nur ein einzelnes Teilsegment der Versorgung.

KLIMASCHUTZ IST AUCH GESUNDHEITSSCHUTZ

Welche Rolle das Klima in den Reformvorschlägen spiele, wollte Prof. Gröne von Prof. Bschor wissen. Bislang nur als Randnotiz – das solle sich aber ändern, beteuerte Prof. Bschor. Es bedürfe eines Transformationsfonds, um diejenigen zu unterstützen, die sich klimafreundlicher aufstellen. Dass Klimaschutz auch Gesundheitsschutz sei, darauf wies Dr. Alina Herrmann hin, Working Group Leader Climate-smart Health Systems am Universitätsklinikum Heidelberg. Studien hätten gezeigt, dass sich mit ansteigender Hitze stationäre Aufenthalte verlängern. Das müsse beim Neu und Umbau von Krankenhäusern mitgedacht werden.

DAS ERGEBNIS ZÄHLT!

Das deutsche Gesundheitssystem ist das teuerste innerhalb der Europäischen Union. Das passt nicht zu seiner Ergebnisqualität, die bestenfalls Durchschnitt ist. Das gilt unter anderem auch für die Lebenserwartung, die als wichtiger Indikator für die Qualität des Gesundheitssystems gilt. Um die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren und zu zeigen, wie es besser funktionieren kann, hat die B. Braun-Stiftung gemeinsam mit OptiMedis vor zwei Jahren die Veranstaltungsreihe „Das Ergebnis zählt!“ ins Leben gerufen. Sie soll auch im kommenden Jahr fortgesetzt werden.

Autorin: Jana Ehrhardt-Joswig

 

QUELLEN

Fotos: OptiMedis/B. Braun-Stiftung

Veranstaltungsbericht Januar 2023

Stellschrauben für eine bessere Gesundheitsversorgung

Seit geraumer Zeit wird im Gesundheitswesen der Begriff Value-based Healthcare – nutzenbasierte Gesundheitsheitsversorgung – heiß diskutiert. Im Kern bedeutet er, dass sich Therapien am individuellen Nutzen und den Bedürfnissen der Patient:innen ausrichten. Dafür müssen die Ergebnisse medizinischer Leistungen zwingend gemessen werden – auch und vor allem aus der Patientenperspektive. Dass die „Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen“ in Deutschland Nachholbedarf hat, zeigte sich bei einer gemeinsamen Veranstaltung der B. Braun-Stiftung und OptiMedis am 17. Januar 2023 in Berlin. Es wurden aber auch Wege hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung aufgezeigt.

Kein anderes Land in Europa steckt mehr Geld in sein Gesundheitssystem als Deutschland. Doch trotz der hohen Kosten ist der Gesundheitszustand der Deutschen bestenfalls EU-Durchschnitt, bei vielen Krankheiten hinken wir unseren Nachbarländern hinterher.[1]

Angesichts dieser Diskrepanz initiierten die B. Braun-Stiftung und die OptiMedis AG im vergangenen Jahr im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung den „Berliner Aufruf für mehr Patientennutzen im Gesundheitswesen“. Gemeinsam mit zahlreichen Expert:innen fordern sie darin, gesundheitliche Versorgungsleistungen sehr viel stärker als bisher hinsichtlich ihres Nutzens für die Patient:innen zu messen und zu bewerten. Am 17. Januar 2023 fand die Folgeveranstaltung zur „Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen“ statt. Wie das deutsche Gesundheitssystem in dieser Hinsicht aufgestellt ist, stand ebenso auf der Agenda wie ein Blick über den Tellerrand auf Gesundheitssysteme anderer Länder. Die Ergebnisse der Vorträge und Diskussionen fließen in ein Thesenpapier ein, das erarbeitet wird und den „Berliner Aufruf“ ergänzen soll.

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Der Patientennutzen im Mittelpunkt

Dr. Konstanze Blatt, Leiterin Fachbereich Befragung am Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)

Dass die Gesundheitsversorgung stärker als bisher am Patientennutzen ausgerichtet werden sollte, konstatierte Dr. Konstanze Blatt, Leiterin Fachbereich Befragung am Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Versorgungsergebnisse würden bislang meist an klinischen Parametern festgemacht. Der Nutzen aus Patientensicht könne jedoch etwas völlig anderes sein als das, was Mediziner als Behandlungserfolg definieren. Brustkrebspatientinnen etwa bewerten ihre Lebensqualität meist schlechter als ihr Hausarzt; offenbar machen ihnen Müdigkeit, Schmerzen und Schlaflosigkeit mehr zu schaffen, als Ärztinnen und Ärzte gemeinhin annehmen.[2] Aufschluss darüber könnten PROMs und PREMs geben. PROM steht für „Patient-reported Outcome Measure“, die Dokumentation des Gesundheitszustandes einer Patientin oder eines Patienten auf Grundlage ihrer oder seiner eigenen Einschätzung. PREMs sind „Patient-reported Experience Measures“, Informationen über die Erfahrungen, die ein Patient im Zusammenhang mit einer Behandlung gemacht hat, beispielsweise mit der Arzt-Patienten-Kommunikation. Insbesondere PROMs ermöglichen Erkenntnisse zu den potenziellen Gesundheitsgewinnen und Risiken einer Behandlung. Sie unterstützen bei Therapieentscheidungen oder können in Behandlungspfade und Leitlinien einfließen. „Deutschland ist in dieser Hinsicht allerdings noch Entwicklungsland“, sagte Konstanze Blatt. Zwar gebe es einzelne Initiativen oder Kliniken, die PROMs und PREMs erheben, eine flächendeckende systematische Erfassung der Patientenperspektive gebe es jedoch noch nicht.

Doch ein Umschwung ist im Gange. Seit kurzem fließen Patientenbefragungen in die externe Qualitätssicherung ein. Die Qualitätssicherungsverfahren (QS-Verfahren), die das IQTIG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses entwickelt, fokussierten bislang auf „Patientensicherheit“ und „Wirksamkeit“ – und zwar ausschließlich aus Sicht der Leistungserbringer. Für einige QS-Verfahren gibt es nun validierte Fragebögen, auf denen die Patient:innen angeben können, wie es ihnen mit der Behandlung geht, ob sie mit Schmerzen, Schlaflosigkeit oder anderen Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Die Entwicklung dieser Fragebögen ist langwierig: Sie durchlaufen einen mehrstufigen Prozess, der aus einer Literaturrecherche, Gruppendiskussionen und Interviews mit Patient:innen besteht. Auch Ärzt:innen, Pflegefachpersonen oder Therapeut:innen werden über Fokusgruppen und Interviews eingebunden. Ein Expertengremium, das sich ebenfalls aus Patient:innen, Angehörigen, den beteiligten Gesundheitsprofessionen und Wissenschaftler:innen zusammensetzt, steht den Fokusgruppen beratend zur Seite. „Das Ganze ist nicht trivial“, unterstrich Konstanze Blatt. „Wenn es das wäre, würden wir das alle mehr machen.“ Immerhin eine Patientenbefragung für das QS-Verfahren Perkutane Koronarintervention (PCI) und Koronarangiographie (QS PCI) ist seit dem 1. Juli 2022 im Regelbetrieb. Weitere Fragebögen sind in der Pipeline.

High Value Care: bessere Versorgung ohne Verschwendung

Marion Grote-Westrick, Senior Project Managerin Programm Gesundheit, Bertelsmann Stiftung

Marion Grote-Westrick, Senior Project Manager im Programm Gesundheit bei der Bertelsmann Stiftung, sprach anschließend darüber, welche Rolle die Ergebnisorientierung für eine hochwertige Gesundheitsversorgung – High Value Care – spielt. High Value Care im weitesten Sinne ziele darauf, die Gesundheit zu verbessern, niemandem zu schaden und verschwenderische Praktiken abzuschaffen – also beispielsweise keine Therapien durchzuführen, die nichts bringen oder gar schaden. Dass dies oft genug passiert, belegte sie unter anderem anhand der „Knieprothesen-Wetterkarte“, einer Versorgungslandkarte zum Kniegelenkersatz. Daraus geht hervor, dass es Landkreise gibt, in denen dreimal häufiger Knieprothesen eingesetzt werden als in anderen – ohne dass dies damit begründet werden könnte, dass die Menschen in den Regionen mit den vielen OPs älter und deshalb öfter auf Gelenkersatzoperation angewiesen sind.

„PROMs könnten auf vielfältige Weise dazu beitragen, High Value Care zu erreichen“, sagte Marion Grote-Westrick. Da sie verdeutlichen, wie es einem Patienten aktuell geht, können sie dabei helfen, die laufende Therapie anzupassen, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu stärken und das Patient Empowerment zu erhöhen. Sie können darüber hinaus für die externe Qualitätssicherung oder die öffentliche Berichterstattung genutzt werden; oder für die Weiterentwicklung von Behandlungspfaden und Leitlinien. Allerdings bedürfe es in Deutschland einer Standardisierung und des dafür erforderlichen politischen Willens, schloss Grote-Westrick, „anderenfalls entsteht ein Flickenteppich verschiedener PROM-Initiativen. Ein flächendeckender Qualitätsvergleich ist damit nicht möglich.“

Blick über den Tellerrand

Dr. Oliver Gröne, stellv. Vorstandsvorsitzender OptiMedis

Dr. Oliver Gröne, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von OptiMedis, schilderte, wo das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich steht. Einerseits schneide Deutschland sehr gut ab: Es gewährt ausnahmslos allen Bürger:innen Zugang zur medizinischen Versorgung, die mit den Leistungen im Allgemeinen auch sehr zufrieden sind. „Bei der Versorgungsqualität hingegen kommen wir aus dem MIttelfeld nicht heraus“, konstatierte Gröne, „und auch im Hinblick auf Prävention haben wir hohen Nachholbedarf.“

Im Ausland gebe es interessante Ansätze für eine stärkere Ergebnisorientierung, etwa das NHS Outcomes Framework, das neben sehr klaren Qualitätsindikatoren auch Ziele für die Ergebnisqualität vorgibt. Außerdem stellte er Pilotprojekte zu alternativen, populationsbasierten Vergütungsmodellen in den Niederlanden vor. Im Projekt Arts en Zorg übernehmen die Hausarztpraxen die Verantwortung für die Gesamtausgaben ihrer Patient:innen. Bereits nach ein bis zwei Jahren habe dies zu geringeren Kosten geführt: Die Ärzt:innen verschreiben weniger Medikamente und vermeiden unnötige Überweisungen – ohne dass ihre Behandlungsergebnisse darunter gelitten hätten. In einem weiteren Projekt, dem Bernhoven & Beatrix Pilot, haben zwei Krankenhäuser mit den wichtigsten Krankenversicherungsgesellschaften fünfjährige Verträge mit pauschalen Beauftragungssummen abgeschlossen. Auf diese Weise sind Mengenanreize entfallen, die Krankenhäuser haben mehr finanzielle Freiheit und können sich auf die Qualität der Behandlung fokussieren. In beiden Krankenhäusern zeigte sich nach fünf Jahren, dass sowohl insgesamt weniger Behandlungen als auch weniger intensive Behandlungen durchgeführt wurden als in vergleichbaren Krankenhäusern. Unerwünschte Effekte, beispielsweise eine Verlagerung der Patienten in andere Krankenhäuser, seien ausgeblieben. Was heißt das für Deutschland? „Mehr Geld ins System zu pumpen, kann nicht die Lösung sein“, schloss Gröne seinen Vortrag. „Wir brauchen eine Debatte über die Ergebnisse, die wir anstreben, und über alternative Vergütungsmodelle.“

An die Impulsvorträge schlossen sich drei Workshops an, in denen die Teilnehmer:innen anhand von Umsetzungsbeispielen diskutierten, wo Ergebnisorientierung in Deutschland bereits gelebt wird. 

Workshop 1: Qualitätsverträge als Instrument der Ergebnisorientierung

Martin Spegel, Leiter Ausgabensteuerung SBK Siemens-Betriebskrankenkasse

Martin Spegel, Leiter Ausgabensteuerung bei der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), leitete den Workshop „Qualitätsverträge als Instrument der Ergebnisorientierung: Potenziale und Herausforderungen“. Er führte zunächst in die Thematik ein. Der Gesetzgeber eröffnete Krankenhäusern und Krankenkassen 2017 mit dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) die Möglichkeit, in bestimmten Leistungsbereichen Qualitätsverträge zu schließen. Bis 2025 will er damit erproben, ob sich die Versorgung verbessert, wenn bessere Qualität extra vergütet wird. Die Verträge müssen evaluiert werden – entweder von den Vertragspartnern selbst oder vom IQTIG, das dann auch die Qualitätskriterien festlegt.

Qualitätsverträge sind immer Einzelverträge, müssen aber für weitere Krankenkassen offen sein, damit Versicherte anderer Kassen ebenfalls die Chance haben, im Rahmen von Qualitätsverträgen behandelt zu werden. Die SBK habe eigene Verträge zur Beatmungsentwöhnung, in der Endoprothetik und zur Delirprävention, erläuterte Martin Spegel. Im Rahmen ihres Endoprothetik-Vertrages würden so gute Ergebnisse erzielt, dass er möglicherweise die Basis für die Kalkulation einer neuen Fallpauschale für die Fast-Track-Chirurgie beim Gelenkersatz sein wird.

In der anschließenden Diskussion kam zur Sprache, dass Qualitätsverträge insgesamt nicht besonders weit verbreitet sind. Das könnte daran liegen, dass der Aufwand für die Kassen hoch ist, ohne dass sich dies finanziell für sie lohnt. Allerdings sind sie seit 2021 durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz dazu verpflichtet sind, 30 Cent pro Versichertem pro Jahr für Qualitätsverträge auszugeben. Bleiben sie darunter, müssen sie die Differenz in die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds einzahlen.

Die Teilnehmer:innen überlegten dann gemeinsam, wie Qualitätsverträgen zu mehr Durchschlagskraft verholfen werden könnte. Eine Idee war, dass sich die Kliniken mit Qualitätsverträgen untereinander vernetzen sollten, um so Druck auf andere Krankenkassen auszuüben, dem Vertrag beizutreten. Außerdem müsse der Gesetzgeber einen Mechanismus installieren, wie Leistungen aus Qualitätsverträgen, die sich bewährt haben, in die Regelversorgung überführt werden könnten.

Workshop 2 : Qualitätsorientierte Vergütung: Versorgungsziele entwickeln, komplexe Interventionen evaluieren

Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer, Seniorprofessor für Versorgungsforschung an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, leitete den Workshop zum Thema qualitätsorientierte Vergütung

Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer, Seniorprofessor für Versorgungsforschung an der Medizinischen Hochschule Brandenburg, leitete den Workshop „Qualitätsorientierte Vergütung: Entwicklung von Versorgungszielen & Evaluierung komplexer Interventionen“. Aus seiner Sicht fehlt es dem deutschen Gesundheitssystem an Mechanismen, sich von innen heraus selbst zu erneuern: Einige Stakeholder seien in ihre gesetzlichen Aufträge eingebunden, sodass sie es nicht ändern könnten; andere wiederum würden das gar nicht erst wollen, weil sie von Partikularinteressen geleitet sind. Gleichzeitig hätten Bürger:innen derzeit weder die Macht noch wirksame Methoden, sich in die Gestaltung einzubringen.

Neugebauer hält es deshalb für notwendig, das fünfte Sozialgesetzbuch „neu zu schreiben“. Es müsse die integrierte Versorgung in den Mittelpunkt stellen, Patienteninteressen Leitbild sein. Besonders wichtig ist es in seinen Augen, „Nationale Versorgungsziele“ festzulegen – ein Thema, über das die Teilnehmer:innen intensiv diskutierten. Insbesondere müsse geklärt werden, wie diese Versorgungsziele umgesetzt werden könnten. Methodische Parallelen wurden zu den Core Outcome Sets (COS) der Comet Initiative in den USA gezogen. Zur Debatte stand auch, ob zuerst Versorgungsziele definiert werden sollten, an die sich das System dann anpasst; oder ob zunächst das System bestimmt werden muss (wie beispielsweise in Gesundheitsregionen), für das dann bestimmte Versorgungsziele gelten. Professor Lutz Hager von der SRH Fernhochschule – The Mobile University merkte an, dass der Begriff „Ziel“ im Zusammenhang mit der Bevölkerungsgesundheit unpassend sei; er schlug stattdessen „Potenzial“ vor.

Als generelle Treiber für eine Umgestaltung des Gesundheitswesens machten die Teilnehmer:innen aus: finanzielle Anreize über Integrierte Versorgungs- oder Qualitätsverträge; die Möglichkeit für Organisationen, „bottom up“ und flexibel regionale Versorgungsziele zu verfolgen; sowie ein Public Reporting hinsichtlich der Zielereichung. Barrieren seien die Resistenz einiger Protagonisten gegen Veränderungen, die Mechanismen der Selbstverwaltung sowie der Wunsch nach Beitragsstabilität seitens der Krankenkassen.

Die systematische Einbindung von Patient:innen bzw. Bürger:innen in die Ausrichtung dieser Versorgungsziele betrachteten einige Teilnehmer:innen als notweding, aber schwierig. Prof. Dr. Dr.  Neugebauer verwies jedoch auf das Projekt Neustart für Gesundheit“ der Robert Bosch Stiftung, bei dem Expert:innen gemeinsam mit Bürger:innen Reformvorschläge für das Gesundheitssystem erarbeitet haben. Außerdem könne das geplante Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit den Prozess effizient moderieren.

Workshop 3: Nutzenbewertung aus Patientensicht

Dr. Valerie Kirchberger, Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical, leitete den Workshop zum Thema Nutzenbewertung aus Patientensicht.

Dr. Valerie Kirchberger, Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical, leitete den Workshop zum Thema Nutzenbewertung aus Patientensicht.[/caption]Es sei wichtig, PROMs zu erheben, um Einblicke in das subjektive Erleben von Patient:innen über den Zeitverlauf zu erhalten, betonte Dr. Valerie Kirchberger, Chief Medical Officer bei Heartbeat Medical, in ihrer Einführung zum Workshop „Nutzenbewertung aus Patientensicht“. Mit der Datenerhebung gehe jedoch auch die moralische Verpflichtung einher, sie zu nutzen.

Wofür, das war Thema der angeregten Diskussion: als Werkzeug in der Routinevorsorge, als Bestandteil eines lernenden Gesundheitssystems oder auch, um die Sinnkrise bei den Gesundheitsfachkräften zu lösen. Als Beispiele wurden die Martini-Klinik oder die Babylotsen in Berlin genannt. Dabei wurde allerdings auch deutlich, dass PROMs bislang Ausnahmeerscheinungen in Deutschland sind und ihr Potenzial für Shared Decision Making, ergebnisorientierte Vergütung und öffentliche Berichterstattung bislang kaum ausgeschöpft wird. Dabei sei die Bereitschaft der Patient:innen hoch, ihre Daten zu teilen – sofern sie erkennen, was sie davon haben. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen könnte ein wichtiger Treiber für PROMs werden. „In Deutschland treten wir diesbezüglich noch auf der Stelle“, sagte Alexander Rinnert von BSF Finance. „Digitalisierung muss ein Selbstzweck sein. Wenn wir das schaffen, haben wir eine völlig neue Kooperationskultur und können endlich anfangen, Ergebnisdaten in die Gesundheitsplanung miteinzubeziehen.“

„Never miss a good crisis“

Von Dr. Oliver Gröne (OptiMedis) moderierte Paneldiskussion mit Dr. Valerie Kirchberger (Heartbeat Medical), Dr. Thomas Lipp (Delegierter der Sächsischen Landesärztekammer) und Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer (Medizinische Hochschule Brandenburg), Dr. Benedikt Simon (Asklepios Kliniken), Martin Spegel (Siemens-Betriebskrankenkasse).

In der abschließenden Paneldiskussion, die Dr. Oliver Gröne moderierte, saßen neben den Workshop-Leiter:innen Dr. Valerie Kirchberger, Prof. Dr. Dr. Edmund Neugebauer und Martin Spegel noch Dr. Thomas Lipp, Delegierter der Sächsischen Landesärztekammer und Dr. Benedikt Simon, Chief Officer Integrated and Digital Care bei der Asklepios Kliniken Gruppe, auf dem Podium. Prof. Dr. Dr. Neugebauer betonte, dass das 40 Jahre alte SGB V den neuen Strukturen und Anforderungen des Gesundheitswesens nicht gerecht werde. „Wir müssen aus der Selbstverwaltung, in der jeder Akteur seine eigene Agenda verfolgt, eine Selbstorganisation machen, die eine echte Beteiligung der Patient:innen ermöglicht.“ Dr. Valerie Kirchberger stellte fest: „Wir haben kein Erkenntnis – oder Technik-Problem, wir haben ein Kulturproblem. Wir müssen endlich anfangen, unser Wissen umzusetzen – nur so können wir die Versorgung verbessern und dabei Ressourcen schonen.“ Auch Martin Spegel forderte eine stärkere Patientenzentriertheit: „Wir müssen uns auf die Bedürfnisse der Patient:innen besinnen. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis, was Ergebnisqualität ist, und wir müssen kooperativ im Sinne der Patient:innen handeln.“ Dr. Thomas Lipp zeigte sich bezüglich der Worte seiner Vorredner:innen skeptisch: „Wir haben vor 30 Jahren schon über die gleichen Fragen diskutiert, und im Wesentlichen hat sich nichts geändert.“ Als eine wesentliche Barriere benannte er die Misstrauenskultur im Gesundheitswesen. Es sei fast schon beschämend, wie wenig von der Selbstverwaltung in den vergangenen Jahren bewegt worden sei, räumte Martin Spegel ein. Dr. Valerie Kirchberger jedoch versprühte Aufbruchsstimmung: Vor zehn Jahren seien die Fronten wesentlich härter gewesen; im Rahmen von Qualitätsverträgen kämen mittlerweile Krankenhäuser und Krankenkassen an einen Tisch und würden gemeinsam nach kreativen Lösungen suchen.

Dr. Benedikt Simon unterstrich die Bedeutung neuer Vergütungsformen: „Wir brauchen neue Anreizmechanismen, denn solange sich die Vergütung am Volumen orientiert, wird sich nichts ändern.“ Würde nicht nach Fallzahl, sondern nach Qualität bezahlt, könnten 20 Prozent der Krankenhausbetten sofort gestrichen werden. Gleiches gelte für den ambulanten Bereich, fügte Dr. Lipp hinzu. Viele Patient:innen müssten vierteljährlich in die Praxis einbestellt werden, ohne dass dies erforderlich sei. „Ich würde sie lieber weniger häufig sehen und dafür mehr Zeit für sie haben – das bezahlt mir aber keiner“, beklagte der Allgemeinmediziner.

In diesem Zusammenhang kam die Sprache auch auf die Themen Patient Empowerment und Prävention. Einigkeit herrschte, dass die Gesundheitskompetenz der Menschen gesteigert werden müsse. Auch dazu könnten PROMs beitragen, weil sie die Arzt-Patienten-Kommunikation stärken.

Alles in allem hätten die Diskutant:innen sicher noch lange reden können. Eins wurde klar: Es ist viel zu tun. Doch nach der Coronapandemie, mitten in der Energiekrise und angesichts des Fachkräftemangels bleibt nichts anderes übrig, als die Dinge in Angriff zu nehmen. Dr. Valerie Kirchberger brachte es auf den Punkt: „Never miss a good crisis.“

Text: Jana Ehrhardt-Joswig I Bilder: Regina Sablotny

[1] OECD: Health at a Glance: Europe 2022 – State of Health in the EU Cycle

[2] Eon Sook Lee et al (2011): Health-related quality of life in survivors with breast cancer 1 year after diagnosis compared with the general population: a prospective cohort study, in: Annals of Surgery

Fotos: Regina Sablotny

Die Veranstalter

Die B. Braun-Stiftung hat sich der Verbesserung der Gesundheitsversorgung verschrieben. Seit Jahren begleitet sie unter anderem die Diskussionen über Methoden und Prozesse der Nutzenbewertung in der Medizintechnik mit einem eigenen Veranstaltungsformat. Dies setzt sich nun mit einer Veranstaltungsreihe zur Ergebnisorientierung im Gesundheitswesen fort – gemeinsam mit OptiMedis, einem Unternehmen für Management, Forschung und Analytik im Gesundheitswesen. OptiMedis entwickelt seit vielen Jahren evidenzbasierte Strukturen und Interventionen für eine patientenorientierte und sektorenübergreifende Versorgung – immer mit Blick auf den Outcome, also auf die Messung und Bewertung von Leistungen hinsichtlich ihres Nutzens für die Bevölkerung. 

Dokumentation „Das Ergebnis Zählt“

November 2023

Die Veranstaltung hat in Präsenz stattgefunden.

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Vorträge der Referent:innen

Impulsvorträge

Januar 2023

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Vorträge der Referent:innen

Impulsvorträge

Input-Referate Workshops

Oktober 2021

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